Oldenburg, Zentrum des Hörens

Das Oldenburger „Haus des Hörens“ ist für alle da: Weltweit spitze und Exzellenz-verdächtig ist die Hörgeräte-Forschung, hörgeschädigte Menschen kommen zur Beratung, und nun können auch Kinder und Erwachsene im „Hörgarten“ die Geheimnisse der physikalischen Akustik erkunden

aus Oldenburg Klaus Wolschner

Was ein „Hörthron“ ist, das wissen die meisten Oldenburger: Seit zwei Jahren schon stehen die beiden großen Metall-Ohren, die so aussehen wie die Lautsprecher eines alten Grammophons, vor dem „Haus des Hörens“ in der Marie-Curie-Straße. Man kann sich zwischen die beiden „Ohren“ auf einer Bank niederlassen und das Gefühl studieren, die großen Öffnungen seien die eigenen Ohren – es ist eine fremde Welt, in die man so hineinhört.

Der Hörthron war der Anfang eines ganzen „Hörgartens“, der diese Woche eröffnet wurde. Über einen „Flüsterspiegel“ kann man über 40 Meter Entfernung miteinander reden – der Ton wird durch drei schlichte Akustik-Schüsseln verstärkt und auf das Gegenüber gerichtet. „Helmholz-Resonatoren“ demonstrieren, wie selektiv je nach Hör-Muschel die wahrgenommenen Töne sind, eine „Mittelohrpauke“ demonstriert die Funktionsweise des Mittelohres.

Das faszinierendste Ausstellungsstück im Hörgarten ist aber vermutlich der „Audiobeam“: Über 30, 40 Meter wird ein Ultraschall-Klang – Sprache oder Musik – damit zielgerichtet übertragen, wie ein Laser-Pointer trifft er irgendwo auf eine Metallplatte – und erst dort wird der Ton hörbar, der Ultraschall in hörbaren Schall „demoduliert“.

Der Hörgarten soll sensibilisieren für die fantastische Welt des Hörens. Er verweist auf das „Haus des Hörens“, in dessen Garten er steht, und in dem alles versammelt ist, was man für ein Weltspitze-Institut braucht: Die Arbeitsgruppe Medizinische Physik der Universität Oldenburg, die Fachhochschüler „Hörtechnik und Audiologie“, die Deutsche Gesellschaft für Audiologie, Firma und Kompetenzzentrum „Hörtech“ und mehrere medizinische Behandlungsräume für Menschen mit eingeschränkter Hörfähigkeit. Im „Haus des Hörens“ arbeiten MedizinerInnen, PhysikerInnen, TechnikerInnen und PatientInnen auf allen Ebenen zusammen, es gibt alles von der Grundlagenforschung bis zur schlichten PatientInnenberatung – und das macht die Sache offensichtlich erfolgreich. Nach Oldenburg kommen die sechs Hörgeräte-Hersteller aus aller Welt, um ihre neuesten Geräte zu testen. Ins Hörzentrum Oldenburg kommen die PatientInnen, denen in normalen Krankenhäusern nicht hinreichend geholfen werden konnte, und lassen sich vom medizinischen Leiter Rüdiger Schönfeld, der gleichzeitig am Krankenhaus in Oldenburg arbeitet, testen. Und in Oldenburg treffen sich die Akustik-Experten aus Medizin und Physik.

Für die Hörgeräte-Industrie ist das ein interessanter Fleck, deswegen versorgt sie das Oldenburger Zentrum mit Aufträgen: Rund 18 Millionen Menschen in Deutschland gelten als hörgeschädigt, nur 2,5 Millionen davon haben bisher ein Gerät gekauft. „Wer eine Brille trägt, gilt als schlau, wer ein Hörgerät trägt, als senil“, beschreibt der Mediziner und Physiker Birger Kollmeier, Gründer des Oldenburger Zentrums, das Phänomen.

Doch die Hörgeräte sind noch weit entfernt von dem Anspruch, die Leistungen des menschlichen Ohres wirklich für das menschliche Gehirn zu ersetzen. Stimmgewirre, größere Lautstärkeunterschiede, Raumklang – das alles ist über das Hörgerät noch lange nicht perfekt zu ersetzen. So haben die Oldenburger einen Raum geschaffen, der rundherum mit – nicht weiter auffallenden – Lautsprechern ausgestattet ist, in die Decke sind neben den Lautsprechern auch Dutzende von Mikrofonen eingelassen. Auf Knopfdruck kann man das Zimmer akustisch in einen Dom verwandelt oder in eine Bahnhofshalle. Oder in eine Schulklasse. In kleinen Kammerkonzerten werden die Überraschungs-Effekte ausgenutzt, vor allem aber können hier Hörgeräte-Firmen ihre Kreationen in aller Ruhe testen lassen. Das Angebot findet regen Anklang. „Wir kooperieren mit allen sechs Hörgeräte-Herstellern, die es weltweit gibt“, sagt Hörtech-Geschäftsführer Stephan Albani. Entfernungen spielen in der spezialisierten Branche keine Rolle – Oldenburg hat, was die Siemens-Spezialisten in Erlangen nicht haben, die Kunden kommen aus Dänemark und aus den USA.

In Oldenburg selbst hat das Hörzentrum keine Partner – jedenfalls keine industriellen. Dass Kollmeier vor 13 Jahren nach Oldenburg gekommen ist, hatte besondere Gründe – die junge Uni bot ihm Entfaltungsmöglichkeiten, die er in den fest gefügten Strukturen in Göttingen nicht hatte. Dennoch – die ersten Jahre musst sich das Kollmeier-Team in einem 56-Quadratmeter-Container bewähren, erst dann gab es Geld für das moderne Institutsgebäude.

„Viele Hochschulen sind in einzelnen Bereichen in der Weltspitze dabei, hätten dort aber nie eine Chance als ganze Universität“, sagt der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Ernst-Ludwig Winnacker. „Oldenburg zum Beispiel hat ein hervorragendes Zentrum für alles, was mit dem Hören zu tun hat.“

In die Endrunde der Exzellenz-Initiative des Bundes hat es das Oldenburger Hörzentrum schon geschafft. Wenn es sich „in der entscheidenden zweiten Runde im Haifischbecken der deutschen Forschungselite“ durchsetzen könnte, formuliert Kollmeier – das wäre die Krönung seiner 13 Jahre langen Aufbauarbeit.