Kampf dem Kormoran

Die Fischer wollen dem Kormoran an den Kragen: Er frisst ihnen den Fisch weg. 5.000 Tonnen in Meck-Pomm, 6.000 in Brandenburg. Jetzt reicht’s: Die Vögel sollen weg. Naturschützer wehren sich

VON HEIDE PLATEN

Im 19. Jahrhundert zog die preußische Armee mit dem Gewehr im Anschlag gegen den „Schädling“ zu Felde. „Tiervater“ Alfred Brehm beschimpfte den Kormoran (Phalacrocorax carbo) als Fisch fressendes Monster. Der Kormorankrieg hatte Erfolg. Vor 100 Jahren war der Vogel in Deutschland fast ausgerottet, stand auf der Roten Liste der bedrohten Arten. Schon 1968 mahnte „Grzimeks Tierleben“: „Statt diese hochinteressanten, schönen und überwiegend nützlichen Vögel in blindem Eifer zu verfolgen, sollte man ihnen deshalb in ihrer natürlichen Umwelt Schutz gewähren.“

Der gänsegroße Vogel aus der Ordnung der Ruderfüßer dankte es und kehrte zurück. Die ersten neuen Kolonien entstanden an den Küsten, die Tiere vermehrten sich prächtig, zogen die Flüsse entlang, siedelten an Seen, Kiesgruben, Teichen. Die Ornithologen freuten sich, die Berufsfischer, Züchter und Angler schrien Zeter und Mordio gegen die „Krähen der Meere“. Seither tobt der Zwist.

Die Europäische Union setzte eine Kommission ein, die berichtspflichtige Ausnahmeregelungen zur Bestandsregulierung zuließ. Sonderverordnungen der einzelnen Bundesländer regeln, dass der noch immer geschützte Vogel regional bejagt oder verscheucht, im Jägerjargon „vergrämt“ werden darf. In Mecklenburg-Vorpommern, so der Naturschutzbund Nabu, sei 2005 im Rahmen der „genehmigten Bestandsregulierung“ ein illegales „Massaker“ angerichtet worden, dem rund 7.000 Tiere zum Opfer gefallen seien.

Die Fischereiwirtschaft hält dagegen, die Kormorane fräßen die Zuchtteiche leer, verschnabulierten die eingesetzte Fischbrut tonnenweise, vernichteten Arbeitsplätze im Spreewald. Die Fischereiwirtschaft in Mecklenburg-Vorpommern meldete, dass im vergangenen Jahr 13.000 Brutpaare fast 5.000 Tonnen Fisch gefressen hätten, 6.000 Tonnen wurden in Brandenburg geschätzt. Artenschützer errechneten, dass Kormorane täglich höchstens ein halbes Pfund verbrauchen. Außerdem bevorzugten sie schwache, kranke und weniger „wertvolle“ Fische, die ohnehin nicht für den menschlichen Verzehr geeignet seien.

Der Schweizer Fernsehmoderator Andreas Moser, der der eidgenössischen Spezies Mensch den Natur- und Artenschutz in seiner Sendung „Netz Natur“ immer wieder mit verhaltener Pädagogik nahe legt, widmete sich Anfang dieser Woche den „bösen Tieren“. Er machte die überzogene Verfolgung so genannter Fressfeinde und Schädlinge als eine zumindest im heutigen Europa überholte Angst aus, die ihre Wurzeln in der Kultur der Ackerbauer und Viehzüchter habe. Wo der Mensch in großen Mengen eine einzige Pflanzenart anbaue und lagere, vermehrten sich eben auch deren Nutznießer massenhaft, Ratten, Mäuse, Kartoffelkäfer. Dass der Adel der armen Landbevölkerung die Nahrung als Tribut abpresste, habe ein Übriges getan, deren Verhältnis zur Natur als ebenfalls übermächtigem Gegner zu manifestieren. Der Wilderer wurde zum Volkshelden, der gleichermaßen dem Jagdprivileg der Fürsten trotzte sowie Mensch und Vieh vor Raubtieren schützte. In der reichen Schweiz wie anderswo in Europa aber sei Platz genug für alle Lebewesen.

Der Mensch ist ein zwiespältiges Mitgeschöpf. Einerseits vernichtet er Lebensräume, andererseits schafft er durch Monokulturen und Müll neue für große Populationen gerade derjenigen „Wettbewerber“, mit denen er konkurriert. Ratten, Tauben, Möwen, Krähen, Raben, auch Reiher und Störche profitieren. Füchse, Waschbären, mancherorts Wölfe, Wildschweine entdecken die Städte als Nahrungsquellen. Ohne Fischzuchtanlagen also auch keine großen Kormorankolonien. Bei so reichem Angebot entwickeln Kormorane, so Grzimek, ausgesprochen menschliche Züge. Die „außergewöhnlich tüchtigen Jäger“ haben viel „Freizeit“, in der sie gern „ruhen, Körperpflege treiben, balzen und spielen“.

Das beeindruckt ihre Gegner gar nicht. Sie fordern den Abschuss. Dänische Fischer zerstören regelmäßig Kolonien, erstechen Brutpaare, zertrampeln Jungvögel.

Anderswo in sind Kormorane besser angesehen. Asiaten richten sie zum Fischfang ab, und in Lateinamerika und Afrika werden ihnen Schutzzäune und Nistplattformen errichtet. Die Menschen schätzen Kormorankot, der als besonders phosphathaltiger Dünger abgebaut wird. Die norddeutschen Fischer und Angler werden allerdings kaum zu diesem Wirtschaftszweig wechseln. Der Kampf geht weiter. Gestern entschied das Berliner Oberverwaltungsgericht, dass eine vom Nabu eingereichte Verbandsklage gegen die Kormoranverordnung, die den Abschuss der Vögel im Umkreis von 500 Metern um Fischereigewässer erlaubt, formal unzulässig sei.