: Die Wurst von morgen hat sechs Beine
ANALOGFLEISCH Die Zukunft der Fleischeslust wuchert im Kühlschrank
In silbernen Tütchen verpackt stehen getrocknete Skorpione, Heuschrecken und Bambuswürmer auf den Regalbrettern. Thomas Knack sortiert Ameisen mit BBQ-Geschmack (bei Kindern besonders beliebt) neben getrocknete Mistkäfer. Auch wenn „Braidy Snack“ in Berlin-Friedrichshain der einzige Insektensnackladen Deutschlands ist – neu ist die Nahrungsquelle Insekt nicht. „Nach dem Krieg wurde auch in Deutschland Maikäfersuppe geköchelt“, sagt Ladeninhaber Knack und meint: Insekten als Fleischersatz, als Proteinquelle für Arme.
Dass auch wir uns das Würstchen-auf-die-Hand ökologisch immer weniger leisten können, zeigt ein Blick in die weltweiten Kuhställe. Momentan wird ein Viertel der Landfläche von Vieh abgegrast. Im bunten Strauß der Viehhaltungsprobleme stecken zudem das anzubauende Futter, Treibhausgase, Gülle im Übermaß, das Auftreten neuartiger Krankheiten wie Schweinegrippe und die Gewissheit, dass viel Tier auf wenig Raum kein würdiges Leben zulässt. Dabei wird der Fleisch- und Milchkonsum laut der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) in den nächsten 40 Jahren nicht abnehmen. Er soll sich verdoppeln.
Das niederländische Forscherteam Profetas hat sich aufgemacht, Eiweiß aus Erbsen so zu Analogfleisch umzumodellieren, dass der Fleischhungrige den Unterschied nicht bemerken soll. Das internationale In Vitro Meat Consortium beschäftigt sich derweil damit, aus Schweinestammzellen ein selbstwachsendes Stück Fleisch zu generieren. Die Vision: Kühlschranktür auf, eine Scheibe vom Fleischklops abschneiden, Tür wieder zu, Klops wächst nach. Dann doch lieber Heuschrecke, die es demnächst im „Braidy Snack“ auch in Schokolade geben soll? Insekten stellen weltweit den größten Anteil an tierischer Biomasse dar – ohne Massentierhaltung. „Insektenprotein in Steakform würde ich eher essen als die Wurst von heute“, sagt Knack.
In welche Identitätskrise Salami aus Regenwurm die Wurstnation Deutschland stürzen würde, lässt sich nur erahnen. Was tun? Hoffen, dass wir keiner Mistkäferplage zum Opfer fallen. Obwohl der, so Knack, vorzüglich auf Fruchtquark schmeckt.
ELSA MATTHUS, TEILZEIT-INSEKTARIERIN