Starke Bilder und das Lied vom Kämpfen

AUSZEICHNUNGEN Cineastisch bunt, aber wegen der Finanzkrise Europas auch bescheiden – so präsentierte sich der europäische Film auf der diesjährigen Filmpreisgala in Berlin. Den Hauptpreis erhielt Paolo Sorrentino für „La grande bellezza“

Ari Folman brachte es auf den Punkt. „Ich beweise Ihnen mal, wie europäisch mein Film ist“, sagte der Regisseur, frisch gekürt, bei der Verleihung des 26. Europäischen Filmpreises (EFA) am Samstag in Berlin. Und las zehn Namen von Animationsstudios vor, die an seinem halbrealen, halbanimierten Film „The Congress“ mitgearbeitet haben, Studios aus Polen, Irland, Deutschland, Frankreich, Belgien. Dass Folman selbst aus Israel und damit eigentlich nicht aus Europa kommt, ist dabei egal: Cineastisch gesehen ist Europa ein riesiger, bunter, an den Rändern ausgefranster Bereich, in dem die unterschiedlichsten Filmschulen aufeinanderprallen.

Allein am Werk Pedro Almodóvars, der für seine vor bemerkenswerten Frauen strotzenden Filme mit dem „European Achievement in World Cinema“-Preis geehrt wurde, und dem für „Beste Regie“ nominierten Liebesfilm „Blau ist eine warme Farbe“ von Abdellatif Kechiche kann man die Unterschiede der Inszenierungen schon hervorragend erkennen. Wo Almodóvar schreienden Pop auf Drama treffen lässt, setzt Kechiche auf intime Sinnlichkeit. In starken Bildern – anstatt, wie im klassischen US-amerikanischen Non-Action-Kino üblich, in handlungstragenden Dialogen – erzählen beide auf ihre Art.

Der Sieger war verhindert

Bester Regisseur ist nach Ansicht der 2.900 Mitglieder der Europäischen Filmakademie in diesem Jahr aber der Italiener Paolo Sorrentino, der für „La grande bellezza“ auch gleich noch die Trophäe für den „Besten Film“ und mit Toni Servillo für den „Besten Schauspieler“ mitnehmen konnte. (Oder hätte mitnehmen können, der Ausgezeichnete selber war leider verhindert.) Auch Susanne Bier, deren tragikomische Lovestory „Love is all you need“ in der neuen Kategorie „Beste Komödie“ geehrt wurde, was man als selbstbewussten Ansatz der Akademie sehen kann, endlich mal auf die divergenten Humorkulturen zu pochen, konnte ihren Preis nicht selber entgegennehmen.

Und das passte zur Grundstimmung des von der Ein-Mann-Groovestation Hans Nieswandt endlich mal musikalisch zeitgemäß untermalten Abends: In diesem Jahr übte sich die Akademie noch mehr in Bescheidenheit als sonst, man bedankte sich zwar flächendeckend gründlich bei Catherine Deneuve (Lifetime Achievement Award) und Pedro Almodóvar für, nun ja, eben alles, aber wurde ansonsten nicht müde, die diversen finanziellen Schwierigkeiten beim Filmemachen im krisengeschüttelten Europa herauszustellen. Die Geschäftsführerin des EFA, Marion Döring, zitierte gleich in ihren Begrüßungsworten Klaus Wowereit mit „arm, aber sexy“. Almodóvar disste charmant die spanische Regierung und ihre Ignoranz gegenüber Kultur, und die mit dem Koproduktionspreis ausgezeichnete rumänische Produzentin Ada Solomon konnte ebenfalls ein Lied vom Kämpfen an allen Fronten singen.

Der europäische Wind weht einem also wie erwartet 2013 passend zum Wetter immer stärker entgegen. Wieso so erschreckend wenige filmschaffende Frauen nominiert und ausgezeichnet wurden, erklärt dies aber nicht. Braucht der EFA eine Quote? Neben Deneuve, Bier, Salomon und der besten Schauspielerin Veerle Baetens (für „The Broken Circle Breakdown“) steckte gerade mal eine Szenenbildnerin (Sarah Greenwood für „Anna Karenina“) eine Statuette in die Handtasche, ansonsten tummelte sich die gesamte Weiblichkeit auf der Leinwand und damit in der Fantasie der kreierenden Männer.

Als einzige Frau in der Jury

Auch in der siebenköpfigen Jury überragte eine einzige Frau ihre sechs Kollegen, was Moderatorin Anke Engelke süffisant kommentierte: „Wie ist das, so als einzige und größte Frau in der Jury?“, fragte sie die bosnische Regisseurin Jasmila Zbanic, deren Film „Esmas Geheimnis“ über sexuelle Gewalt während des Bosnienkriegs 2006 den Goldenen Bären der Berlinale gewann. Die schlaue Zbanic kann solche Fragen locker kontern: „Das ist die cineastische gläserne Decke“, sagte sie. „Frauen reichen nicht dran, und oben drüber sind nur Männer. Ich wurde extra ausgewählt, weil ich so groß bin, dass man hoffte, ich würde sie durchbrechen.“ JENNI ZYLKA