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Archiv-Artikel

Mit Hütchen ganz nach oben

Die International University of Bremen besetzte eine Marktnische in Deutschland: Sie ist die einzige wirkliche Elite-Uni. Bei der Abschlussfeier tritt Frau Gesamtmetall auf und die Bundeskanzlerin lässt beste Wünsche ausrichten. Nur das Finanzierungskonzept lässt zu wünschen übrig

Und weil die Bildungs-Eliten alles sind außer blöde, gehen sie dorthin, wo sie die besten Bedingungen vorfinden

von Benno Schirrmeister

Während drinnen die Abschlussfeier läuft, liegt draußen der Campus, auf einem ehemaligen Militärgelände. Dass sich eine Elite-Universität wie die International University of Bremen ihren Standort in einer ehemaligen Kaserne geschaffen hat, ist vielleicht kein Zufall. Der Begriff Elite ist, als er auf Menschen übertragen wurde, zunächst ein militärischer gewesen. Militär grenzt sich ab vom Volk, militärische Elite von den Fußtruppen, und die alte Kaserne in Bremen-Grohn liegt, ungestört, eine gute halbe Stunde Bahnfahrt vom Stadtzentrum entfernt.

Zwar scheint es an der International University of Bremen eine interne Sprachregelung zu geben, bloß keinen Elite-Anspruch zu artikulieren, mindestens: das Wort zu vermeiden. Aber das ist Schnickschnack, denn wenn die University, die sie in Bremen kurz IUB nennen, keine Elite-Uni wäre, dann wäre sie völlig sinnlos. Dagegen spricht, dass Bremen – ausgerechnet Bremen! – in den vergangenen drei Jahren begonnen hat, ein Punkt auf der akademischen Landkarte zu werden. Ob sich die staatliche Bremer Universität, lange auf Schlussplätze bei Hochschulrankings abonniert, auch ohne IUB zum einzigen norddeutschen Kandidaten für die Exzellenz-Millionen des Bundes gemausert hätte – man darf’s bezweifeln.

Außerdem: Wenn die IUB keine Elite-Uni wäre, dann hätten sich dort auch nicht rund 1.000 Studierende aus 85 Ländern immatrikuliert. Das Studium dort kostet nämlich echtes Geld: 15.000 Euro jährlich für Nichtgraduierte, 20.000 für die höheren Semester. Kann sich keiner leisten? Stimmt: 92 Prozent der Studis haben ein Stipendium – rückzahlbar ab dem vierten Jahr. Das erhöht den Druck, schnell fertig zu sein.

Für Ausschweifungen ist der Bremer Stadtteil Grohn aber ohnehin nicht der richtige Ort. Es ist, wie gesagt, sehr ruhig dort draußen. Es gibt nicht einmal einen Kiosk, bloß die Autobahnauffahrt und den Eisenbahn-Haltepunkt Schönebeck. Die Vögel zwitschern, die sattgrünen Rasenflächen sind kräftig durchweicht: Man wird dort ungestört lesen können. Und forschen.

Bei Festveranstaltungen ist diese Ruhe außer Kraft gesetzt. Eltern sind in Abendkleidern und Sonntagsanzügen hergepilgert, Studentinnen und Studenten in dunkelblau gehaltenen Roben und mit eckigen schwarzen Hütchen. Die meisten Profs tragen heute ebenfalls Ornat, sie stehen Spalier für ihre Studis. In der Turnhalle erhalten die dann ihre Vordiplome (Bachelor of Arts) ihre Magister (Master of Arts) oder ihren Doctor of Philosophy, und über ihren Roben tragen sie, entsprechend ihrer jeweiligen akademischen Vor oder Vollwürde, keine, blaue oder weiße Bändchen.

Noch bevor das Wort Elite aufs Militär übertragen wurde, hat man damit eine Stoffqualität bezeichnet, die beste, das Garn der Wahl, wenn es darum geht, etwas Wichtiges zusammenzuhalten. Natürlich werden die akademischen Kostüme gerne skeptisch beäugt, weil ja Talare irgendwann einmal als sichtbares Zeichen einer korrumpierten Bildungstradition galten. Aber, die Roben seien „nicht archaisch, sondern international“, klärt Professorin Marion Müller auf, die an der IUB einen medienwissenschaftlichen Lehrstuhl hat. Es gehe darum, die Leistung der Studierenden zu würdigen, die jetzt, zum Abschluss der Diplom-Übergabezeremonie, ihre Hüte in die Luft werfen, das sei doch wohl besser, als die Exmatrikulation zugeschickt zu bekommen. Und die Sache mit dem Zusammenhalt hat auch etwas für sich. „In den USA“, sagt Müller, „leben die Unis von ihren Alumni“, sprich: von deren Spenden. Das würde man in Bremen-Grohn wohl auch gerne. Noch sind es allerdings nicht so viele, die Uni-Gründung liegt erst sieben Jahre zurück und die ersten Absolventen gab es – das war 2004.

Hach ja, das Geld. Der Kapitalstock in Höhe von 255 Millionen Euro, aus dessen Erträgen der laufende Betrieb finanziert werden soll, existiert bloß als frommer Wunsch. 1999 war man in Sachen IUB, 109 Millionen Euro Landesmittel Anschub im Rücken, noch forsch betriebswirtschaftlich aufgetreten. Man hatte davon gesprochen, dass und wie das ohne weitere öffentliche Gelder in fünf Jahren einzunehmen sei, wie man das Professorenkollegium auf über 100 ausbauen und eine Studierendenzahl von 1.200 erreichen wolle. 2006 hat die IUB 97 Profs, 922 Studenten, das verzinste Kapital beläuft sich auf 80 Millionen, das Land hat 16 Millionen illegal und 50 Millionen als Kredit rübergeschoben – und die Grohner Analysen klingen mittlerweile eher volkswirtschaftlich. Der scheidende Präsident Fritz Schaumann tingelt durch die Redaktionen lokaler Zeitungen und Anzeigenblätter und gibt Interviews, in denen er erklärt, warum das Verfehlen sämtlicher gesteckter Ziele ein großer Erfolg ist. Zu dem hat ihm nun sogar die Bundeskanzlerin mit handsigniertem Brief gratuliert. Ehrensache, dass der bei der Graduierten-Feier verlesen wird. Was Schaumann, der ohnehin eher klein und stämmig ist, leicht anschwellen lässt. Als hätte ihn jemand aufgepustet.

Die übrigen Erfolge der IUB lassen sich an der Graduierten-Feier jedenfalls nicht abbuchstabieren: Die Reden sind das, was man von Abi-Feiern kennt, wobei ein mitunter krampfiges Englisch Geschäftssprache ist, zwei Studierende loben für die Studierenden die jahrelang genossene Campus-Atmosphäre, der Geisteswissenschafts-Dekan wählt statt des Zitats aus Schillers Glocke das aus Faust II, Akt V. Frau Gesamtmetall tritt im cremefarbenen Business-Kostüm als aufgeklärte Arbeitgeber-Vertreterin auf und stanzt Gedanken darüber, was die dear graduates erwartet, the higher they go up on their career ladder. Und Hausmusik der uni-eigenen Beatkapelle komplettiert das im 19. Jahrhundert kanonisierte Panorama bürgerlicher Festakte.

Brauchen Bildungs-Eliten eine gezielte Förderung? Das ist eine Frage, die sich grundsätzlich gar nicht mehr beantworten lässt. Napoleon hat entschieden, das dem so ist, seither wird’s gemacht, und weil die Bildungs-Eliten alles sind außer blöde, gehen sie dorthin, wo sie die besten Bedingungen vorfinden. Die IUB besetzt demnach eine Marktnische in Deutschland: Die einzige wirkliche Privat-Uni. Die einzige wirkliche Elite-Uni.

Eine schöne Sache also. Und da wäre es noch schöner, wenn es Konzepte gäbe, um die auch in die Zukunft zu retten. Auf einer der sattgrünen Rasenflächen steht Alexander Ziegler-Jöns beim Shakehands nach der Übergabe-Zeremonie: Hallo Herr Vizepräsident, wie schaut’s denn jetzt mit den Finanzen aus? Hat man da neue Konzepte gefunden? Die Antwort ist eher lapidar. „Wenn wir welche hätten“, sagt Ziegler-Jöns, „würden wir das nicht öffentlich machen“, und das klingt nur bedingt fidel. Trotzdem empfiehlt er: Man möge sich amüsieren.

Schließlich ist heute der Tag des Hütchenspiels. Das bringt der IUB eine gewaltige Medienresonanz. Noch nützlicher aber ist es nach innen. Denn ein Ritual, so läppisch es sein mag, grenzt ab – und überspielt das störende Rauschen des Alltags.