berliner szenen Karneval oder Kopftuch

Frohsinn der Kulturen

In der Nacht zu Pfingstmontag gibt es auf der U 8 keinen Betriebsschluss. Durchgehend befördern die Züge Müde und Betrunkene, Fröhliche und Feiernde nach Hause oder zur nächsten Abfüllstation.

Ich bin müde. Und betrunken. Die bunte Gruppe, die am Kottbusser Tor zusteigt, ist fröhlich und feiernd. Und betrunken. Sie hüpfen im Waggon herum, blasen in riesige Plastiktröten, krakeelen und singen auf Spanisch oder Portugiesisch – selbst wer das sonst unterscheiden kann, könnte es in dieser Situation bestimmt nicht mehr. Ich bin zu erschöpft, um mich entweder von der aggressionslosen Fröhlichkeit anstecken zu lassen oder mich über den Lärm zu ärgern.

In der Nähe der Krachmachertruppe lassen sich zwei Männer und eine Frau nieder. Meiner Einschätzung nach eher kreative junge Wilde aus Kreuzberg, in ähnlicher Feierlaune wohl – mit Bierflaschen geschmückt und mit Plastikblumen. Die Männer sitzen zum Gang hin, die Frau am Fenster – ich kann ihr Gesicht gut erkennen. Auf dem Platz ihr gegenüber sitzt wiederum – ich sehe sie nur schräg von hinten – ganz still und schmal eine junge Frau mit Kopftuch. Die Fensterfrau lacht, plappert mit den Männern, scherzt mit den mittlerweile wie ethanolgetränkte Flummis herumspringenden Folklorerowdies, trinkt aus dem Fläschchen: Beck’s.

Jedes Mal jedoch, wenn ihr Blick auf die Muslimin fällt, erstarrt das Lachen sofort, und ihre Mimik wird feindselig, einfach nur unvergleichlich feindselig. Ihre Begleiter bekommen das gar nicht mit – sie sind mit sich selbst beschäftigt. Bereits an der nächsten Station steigt die Kopftuchfrau aus. Ich bin mir sicher, dass sie bloß den Wagen wechselt. Es ist Karneval der Kulturen.

ULI HANNEMANN