: Schweres Marschgepäck
An der Frankfurter Städel-Kunstschule wurde das „Wörterbuch des Krieges“ vorgestellt. Die Beiträge von Architekten und Theoretikern beschäftigen sich mit der Militarisierung von Sprache und Alltag
VON KLAUS WALTER
„e-mails, die mit zitaten von dolce & gabbana anfangen, gehören nicht ins 21. jahrhundert.“ So stand’s geschrieben bei The Thing, Blog für Kunst und neue Medien. Zielscheibe der Kritik waren „Unfriendly Takeover“ und „multitude e. v.“. Die beiden interdisziplinär agierenden Gruppen hatten in die Frankfurter Städel-Kunstschule eingeladen, zu einem zweitägigen Lecture-Marathon unter dem Titel „Wörterbuch des Krieges“. Motto der Veranstaltung war ein Zitat von Dolce & Gabbana, pardon, Deleuze & Guattari: „Begriffe erschaffen heißt zumindest, etwas zu tun.“ Nicht allen Teilnehmern gelang es, sich vom D&G-Jargon zu befreien und tatsächlich Begriffe zu erschaffen.
Nach 16 Stunden hatten kreative Leute aus dem weiten Feld zwischen Wissenschaft und Kunst via Wort, Bild und Sound 27 Einträge ins „Wörterbuch des Krieges“ vorgenommen. Viele weitere werden folgen, wenn das Projekt demnächst in München, Graz und Berlin fortgesetzt wird. Die Resultate stehen im Netz, am Ende soll dann im Merve-Verlag das Wörterbuch-Buch erscheinen.
Dabei hatte schon das Setting durchaus militärische Präzision. In maximal 30-minütigen Auftritten sollte ein Begriff vorgestellt werden, in alphabetischer Reihenfolge von „Arms Race, Architectural“ bis „Wetter“. Die Londoner Architektin Ines Weizman rekapitulierte den Kalten Krieg der Architektur. Der tobte besonders in Berlin, wo Ost und West sich mitunter groteske Überbietungswettbewerbe lieferten. Auch Axel Springer mischte mit. Der Verleger wollte, ermutigt vom Regierenden Bürgermeister Willy Brandt, Nachrichten auf das 1966 neugebaute Springer-Hochhaus projizieren, Propaganda-Futter für die Nachbarn im Osten der geteilten Stadt, schließlich steht das Springer-Hochhaus direkt an der Mauer.
So weit kam es dann doch nicht. Unter dem Buchstaben P wie Pack wies der DJ und ehemalige taz-Kolumnist Hans Nieswandt auf Ähnlichkeiten im Berufsbild des Soldaten und des Disk-Jockeys hin. Beide müssen schweres Marschgepäck mit sich führen. Alle Vorträge wurden auf Englisch gehalten, also bemerkte Nieswandt, dass es für das deutsche Marschgepäck kein adäquates englisches Wort gibt. Ein Schicksal, das Marschgepäck mit Götterdämmerung und Blitzkrieg teilt. Schade, dass die Ramones nicht mehr leben, sie hätten den „Blitzkrieg Bop“ ins Wörterbuch singen können.
Dietmar Dath, FAZ-Redakteur mit Spex-Vergangenheit, erinnerte bei seinen Betrachtungen zum Wetter an „Desert Storm“ und „Rolling Thunder“, meteorologisch inspirierte Namen für US-Feldzüge im Irak 1991 und Vietnam 1965. Den Rolling Thunder hijackte Bob Dylan Jahre später für eine Konzert-Tournee.
Die Dokumentarfilmerin Azza El-Hassan verewigte den Begriff „Feathermen“ im Kriegs-Wörterbuch. Der hat nichts mit der von Dylan zu ihrem Namen inspirierten US-Stadt-Guerilla- Gruppe The Weathermen zu tun. Der Featherman war ein Faktotum während des Bürgerkriegs im Libanon: Zwischen 1975 und 1982 war er in Beirut bekannt wie ein bunter Hund. Er trug eine Che-Guevara-Uniform und war von Kopf bis Fuß mit Federn geschmückt. Der Spaß, den libanesische Kinder mit dem irren Featherman hatten, nahm ein jähes Ende, als er nach dem Sieg der Israelis bei einem Triumphzug durch Beirut auf einem israelischen Panzer posierte – in Uniform, ohne Federn. Als israelischer Spion war der Featherman an der Ermordung vieler Palästinenser beteiligt. Die besondere Sichtbarkeit seiner Fantasy-Verkleidung hatte den Spion unsichtbar gemacht.
Wie viele andere erzählt auch dieser Beitrag von Azza El-Hassan von der alltäglichen Präsenz des Krieges, so wie in Frankfurt mal die Rede von den „endless loops of war“ war und mal von rhizomatischen Manövern, D&G schon wieder. Kein einziges Mal in zwei Tagen fiel dagegen das Wort vom asymmetrischen Krieg. Dabei taucht die Vokabel stets auf, wenn versucht wird, die Veränderungen durch 9/11 auf einen Begriff zu bringen. „Wir zweifeln eher am Gegner, der ist nicht da, wo er sein sollte“, heißt es in Elfriede Jelineks Irak- Kriegsstück „Bambiland“. Wenn der Gegner woanders ist, als er sein sollte, dann befindet man sich in einem asymmetrischen Krieg. Wenn der Gegner kein Mann ist und eine Uniform trägt, sondern eine Frau, und sie trägt kein Baby unter der Brust, sondern eine Bombe – dann befindet man sich in einem asymmetrischen Krieg. Das, behaupten Kriegsforscher wie Herfried Münkler, sei das Neue an den Dritte-Welt-Kriegen seit den 80ern, vor allem aber nach 9/11.
Ohne dies ausdrücklich zu beabsichtigen brachten mehrere Wörterbuch-Beiträge die These vom asymmetrischen Krieg ins Wanken. Fragwürdig ist der Begriff, weil er die Existenz eines symmetrischen Krieges unterstellt: ein ordentlich erklärter Krieg nach den Regeln des Kriegsrechts geführt, hart, aber fair, geleitet von kompetenten Schiedsrichtern. Die Idee vom symmetrischen Krieg ist eine der Ersten Welt, geprägt von festen Blöcken, Grenzen, Raumordnungen. Raumordnungen, wie sie etwa im Nahen Osten längst nicht mehr existieren, wenn es überhaupt jemals solche Topografien gab.
Von „Gelatine-artigen Räumen“ und „flüssigen Grenzen“ spricht in diesem Zusammenhang Eyal Weizman, einer von auffallend vielen Architekten im Kriegsdiskurs. Die Mauer in der Westbank beschreibt er als „flexible Wand“ im Kraftfeld vielfältiger Interessen. Je instabiler, je flüssiger Territorien und ihre Markierungen, desto mehr Agenten, Akteure und, so Weizmann, „Autoren“ ermächtigen sich zur Teilnahme am Krieg. Je niedriger die Teilnahme-Schwelle – ob von Mini-NGOs oder von Selbstmord-Attentat-Ich-AGs –, desto asymmetrischer und desto endloser wird der Krieg.