: Abbas stellt Hamas ein Ultimatum
Der palästinensische Präsident droht mit vorgezogenen Neuwahlen, falls die Regierung ein Referendum über eine Zweistaatenlösung mit Israel ablehnt. Sechs Tote bei Auseinandersetzungen zwischen den zerstrittenen Bewegungen
AUS JERUSALEMSUSANNE KNAUL
Die gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen der Fatah von Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und der islamistischen Hamas im Gaza-Streifen haben am Wochenende zugenommen. Wenige Stunden vor dem Ablauf eines Ultimatums von Abbas an die Regierung gestern um Mitternacht explodierte im Flüchtlingslager Dschabalia ein Sprengsatz und tötete einen führenden Kämpfer der Hamas. Am Sonntagabend waren fünf Unbeteiligte, darunter eine schwangere Frau, bei Feuergefechten zwischen den beiden zerstrittenen Bewegungen ums Leben gekommen.
Abbas hatte vor zehn Tagen die Hamas-Regierung zur Anerkennung eines „Gefangenendokumentes“ aufgefordert. Derzeit inhaftierte führende Palästinenser aller Fraktionen, darunter der Fatah-Chef des Westjordanlandes, Marwan Barghuti, hatten gemeinsam ein 18-Punkte-Papier formuliert. Darin ist von der Errichtung eines unabhängigen Palästinenserstaates „in den 1967 besetzten Gebieten“ die Rede. Der Widerstand gegen die andauernde israelische Besatzung soll auf das Westjordanland beschränkt bleiben.
Das Dokument beinhaltet indirekt die Anerkennung des Staates Israel, eine zentrale Bedingung der westlichen Geberländer für die weitere Zahlung der palästinensischen Aufbauhilfe. Allerdings hält es gleichzeitig am Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge fest, was Israel ablehnt. Zudem einigten sich die inhaftierten Politiker darauf, die PLO (Palästinensische Befreiungsbewegung) als „einzige legitime Vertreterin des palästinensischen Volkes“ zu benennen. Außerdem fordern die Unterzeichner die Bildung einer Regierung der nationalen Einheit, an der „vor allem Fatah und Hamas“ beteiligt werden sollen.
Katalysator für die innerpalästinensische Gewalt ist die wirtschaftliche Misere. Anfang der Woche hatte die Regierung damit begonnen, zum ersten Mal seit drei Monaten die Löhne der 40.000 Mitarbeiter der Autonomiebehörde (PA) auszuzahlen, die ganz unten auf der Gehaltsliste stehen. Die Gelder stammen aus lokalen Steuereinnahmen. Über 120.000 weitere PA-Bedienstete müssen vorläufig weiter auf ihren Lohn warten.
Die Hamas lehnt nicht nur das Gefangenendokument, sondern auch ein Referendum ab. Für Parlamentssprecher Asis Dweik ist der Volksentscheid ein Versuch, dem palästinensischen Volk politische Positionen abzuringen, die man mit Geld bezahlt. Regierungschef Ismail Hanijeh bezeichnete den Volksentscheid schlicht als „nicht rechtens“.
Problematisch ist vor allem die von Abbas angekündigte Auflösung des Parlaments, sollte die Hamas das Referendum ablehnen. Für vorgezogene Neuwahlen benötigt der Palästinenserpräsident eine Zweidrittelmehrheit, was bei der derzeitigen Sitzverteilung aussichtslos ist. Zum Referendum werden die Abgeordneten ebenso wenig befragt. Der Fatah-Fraktionsvorsitzende Assam al-Achmed will stattdessen ein Treffen des PLO-Exekutivrates einberufen, um die Entscheidung über den Volksentscheid absegnen zu lassen und gleichzeitig einen Termin dafür festzulegen.