: Von der Wand gepurzelte Linien
BIENNALE DER ZEICHNUNG In der norwegischen Kleinstadt Moss zeigt die „5. Drawing Biennial“ die spielerischen neuen Wege der Zeichnung
VON JULIA GWENDOLYN SCHNEIDER
In einer imposanten Inszenierung ragt ein schwarzer Stamm in der Mitte der Ausstellungshalle vom Boden quer bis zur Decke. Wie aber passt das zur 5th Drawing Biennial, die derzeit in Moss unweit von Oslo stattfindet? Durch ein Lagerfeuer wurde der enorm lange Birkenstamm langsam in einen riesigen Kohlestift verwandelt. Für Susanne Altmann, die zusammen mit Stefan Schröder die fünfte Ausgabe der Biennale der Zeichnung kuratiert hat, enthält „Charcoal“ von Anders Kjellesvik eine Metaebene, die die prähistorischen Anfänge des Zeichnens in Erinnerung ruft. Wie sich vor tausenden von Jahren in Höhlen mit rußigen Holzstücken das Zeichnen entwickelte, lässt der verkohlte Stamm gut nachvollziehen.
Inklusive Animation
Den Anreiz für die Übersetzung des Zeichnens in diese poetisch krude Form schuf die diesjährige Ausschreibung. Mit der Entscheidung die Biennale in der Momentum-Halle stattfinden zu lassen, die auch Standort der Biennale für nordische Kunst ist, rief der ausrichtende norwegische Zeichnerverband explizit dazu auf, die traditionellen Gefilde zu verlassen. Aus über 300 Bewerbungen wurden mehr als 40 Künstlern ausgewählt. Ihre Arbeiten zeigen einen breiten Querschnitt zum erweiterten Zeichnungsbegriff, der den State of the Art höchst anregend dokumentiert und dem Genre einen zentralen Platz in der Gegenwartskunst attestiert. Der Titel „Lines on the Move“ spielt auf die Einbeziehung von Animation an, ein Terrain, das viele Arbeiten ausloten.
Manche Arbeiten grenzen dabei direkt an das Zeichentrickfilmgenre, bestechen aber durch eigene Ästhetiken. David Mackintosch animiert das Abenteuer der Zeichnung selbst mit flotten Aquarelltuschestrichen, die dabei ihren taktilen, analogen Charakter bewahren. Helene Torps Linien wachsen dagegen ausschließlich am Drawing Pad. Gänzlich digital entwickelt sich ihr Narrativ trotzdem ähnlich magisch aus der Linie heraus.
Hannah Schneiders Videoperformance „Wandstand“ benutzt die Animation indes nur als eine Komponente. In der ersten Sequenz sind rechts im Atelier zwei Röcke in Grau und Gelb auf Holzständer aufgespannt, links davon hängt eine großformatige Skizze, ähnlich einer Matrize, an der Wand. Schneider betritt den Raum, schlüpft in den gelben Rock und geht in den Handstand. Der Rock stülpt sich um und überrascht mit einer grauen Innenseite. Sie zieht den zweiten über den ersten Rock, setzt das Spiel fort und steht dann auch mal aufrecht und reckt die Arme hoch. Durch die Um- und Überstülpungen am Leib der Künstlerin führen die Röcke Formbildungsprozesse aus, bis schließlich eine gelbe, geometrisch gespiegelte Figur zu sehen ist. Aufgegriffen und unterstrichen wird diese Entwicklung in der zweidimensionalen Ebene der Zeichenvorlage, deren Kontur sich in der Animation wie auf Knopfdruck je in Grau oder Gelb auffüllt, als würde sie durch die Aktivitäten der Künstlerin aus- oder angeschaltet werden.
Ähnlich wie Schneider ein lebendes Bild im Wandumfeld komponiert, finden auch Janine Maglessens zeichnerische Konstruktionen in diesem Milieu statt. „Wallconstruction“ besteht aus weißen geometrischen Reliefelementen, die, kaum merklich und weit verstreut vom Fußboden bis zur Decke, zu einem Entdeckungsspiel einladen. Wandvorsprünge, Irregularitäten und Lichtbedingungen bilden die primäre Choreografie an der sich die unspektakulären Objekte ausrichten. An die Wand angelehnte, zarte, dreidimensionale Linien sehen dabei aus wie von der Mauer gepurzelt.
Vor den Fenstern neben Maglessens Arbeit türmen sich dagegen mächtige Berge aus Holzspänen auf. Sie gehören zum Peterson-Sägewerk. Terje Nicolaisen wollte sich darauf beziehen, in dem er die gesamte Fensterfront mit Sägespänen beklebt und darauf zeichnet. Das Vorhaben stellte sich als unrealisierbar heraus und schrumpfte entsprechend zum Vorschlag. In der Imagination allerdings bringt es die zwei größten örtlichen Produzenten weiterhin zusammen: Die Papierindustrie und die Kunsthalle, die sich in einer stillgelegten Fabrik nahe des Hafens befindet. Eine Verknüpfung, die zum Nachdenken über die Rolle von kulturellem Kapital im postindustriellen Zeitalter anregt.
Street Art und Subkultur
Solchen leisen, konzeptuellen Positionen steht ein Strang von Arbeiten gegenüber, der mit Input aus der Street Art und der Subkultur schrillere Töne anschlägt. Andreas Somas Wandarbeit ist eine gezeichnete Geräuschkulisse. Eruptive Piktogramme, wie sie in Comics verwendet werden, bilden ein Wirrwarr aus Explosionen, das in der Vorstellung höllisch laut ist. Christian Hennie automatisiert dann nicht nur eine Standardgeste der Grafittiszene, in dem er mehrere Sprühflaschen gleichzeitig leert, sondern seine Vorrichtung kann je nach Farbwahl tatsächlich als „Propaganda Machine“ benutzt werden. Als ein kritischer Kommentar auf den zunehmenden Nationalismus sind die gesprühten Linien, die sich im Treppenhaus breitmachen, fast in den norwegischen Nationalfarben gehalten. Die gelungene Gegenüberstellung solch unterschiedlicher Ansätze zeichnet die Schau insgesamt aus.
■ The 5th Drawing Biennial – Lines on the Move, Momentum-Kunsthalle, Moss, Norwegen, bis 13. 6.