AMERICAN PIE
: Geliebtes Gelaber

FOOTBALL Diesmal gibt es kaum Streit um die Besetzung des College-Finales. Manche bedauern das und freuen sich schon auf nächstes Jahr

Endlich sind sich mal alle einig. Die Trainer und die Journalisten, die Blogger und die Funktionäre, ja sogar die allermeisten Fans. Seit dem vergangenen Sonntag steht fest, wer sich am 6. Januar im kalifornischen Pasadena um den Titel des besten College-Football-Teams des Jahres streiten darf. Die Florida State Seminoles und die Auburn Tigers sind die auserwählten Finalisten – und die einzige Überraschung ist, dass dagegen nicht viel zu sagen ist.

Vollkommen unumstritten, zumindest sportlich, ist Florida State, das einzige Team, das alle seine dreizehn Partien gewonnen hat – obwohl eine polizeiliche Ermittlung wegen Vergewaltigung gegen Star-Quarterback Jameis Winston, die erst in der vergangenen Woche eingestellt wurde, für Unruhe sorgte. Auburn wiederum hat zwar ein Spiel verloren, hatte dafür aber den mit Abstand schwersten Spielplan. Allein an den beiden vergangenen Wochenenden haben die Tigers mit Alabama und Missouri zwei Mannschaften geschlagen, die sich bis zu diesen Niederlagen selbst noch Titelchancen ausrechneten. Trotzdem brauchte Auburn Hilfe. Und die kam durch eine sensationelle Niederlage von Ohio State, die bis zum letzten Spieltag ungeschlagen waren.

Das war der Moment, in dem Bill Hancock auf den Plan trat. „Ich haben das schon den ganzen Herbst lang wiederholt“, sagte Hancock, „entspannt euch, es wird schon funktionieren.“ Offiziell ist Hancock Direktor der Bowl Championship Series (BCS), inoffiziell einer der meistgehassten Figuren im amerikanischen Sport. Denn die BCS entscheidet, welche von 120 Mannschaften in der ersten Liga am Ende der Saison um den College-Titel spielen darf.

Diese Finalisten werden allerdings – im Gegensatz zu allen anderen College-Sportarten – nicht in einem Turnier oder in Playoffs ausgespielt, sondern in einem hochkomplexen System ermittelt. Der BCS-Computer wird mit Ranglisten gefüttert, die mal seriös sind wie die traditionellen Polls der Nachrichtenagentur AP, für den Sport-Journalisten abstimmen, oder der Coaches’ Poll, für den Trainer befragt werden. Miteinbezogen werden aber auch Hitlisten, die von Bloggern oder obskuren Statistik-Nerds stammen. Diese Informationen werden dann zusammengerührt, mit ein paar anderen Faktoren modifiziert, ein Dutzend Mal durch den Rechner gejagt und mit Hilfe einiger umstrittener Regeln wieder umgeschmissen.

Wenn das Ergebnis schließlich verkündet wird, setzt alljährlich eine wilde Diskussion ein: Eigentlich wäre eine andere Paarung die bessere gewesen, meinen manche. Andere vermissen ihr eigenes Team im Endspiel. Und alle lieben es, sich über die anachronistischen Funktionäre aufzuregen, die sich schon mehrerer Kartell- und Gerichtsverfahren erwehren mussten. Selbst Barack Obama hat sich eingemischt in die Diskussion und Playoffs gefordert in dem traditionsreichen Sport, der schon vor dem Zweiten Weltkrieg die Massen faszinierte und, was die Popularität anging, noch bis Ende der 50er Jahre den Profi-Football der NFL in den Schatten stellte.

Ob es das präsidiale Machtwort war, ist nicht geklärt. Aber tatsächlich werden in der kommenden Saison erstmals Playoffs im College-Football stattfinden. Oder zumindest Playöffchen: Die besten vier Mannschaften sollen ein Halbfinale spielen, die Sieger anschließend zum Endspiel antreten. Ob allerdings diese halbgare Lösung die ewige Kontroverse beenden wird, ist äußerst fraglich. In dieser Saison beispielsweise ist zwar weitgehend unumstritten, wer die beiden finalwürdigen Mannschaften sind. Sehr viel schwieriger würde allerdings die Auswahl von vier Halbfinalisten, denn dieses Jahr könnten mindestens acht Teams für sich reklamieren, zu den vier besten zu gehören.

Jene Kritiker also, die glauben, dass die andauernden öffentlichen Auseinandersetzungen bisweilen spannender seien als die Spiele selbst, können beruhigt sein: Die Diskussionen werden fröhlich weitergehen. Dafür sorgen wird schon die Tatsache, dass das undurchsichtige Computer-Auswahlverfahren abgeschafft und stattdessen eine Kommission eingerichtet wird, die ab dem kommenden Jahr die vier Semifinal-Teams bestimmt. Gute Nachrichten zumindest für Bill Hancock: Der darf seinen Job als beliebteste Hass-Figur im College-Football abgeben an die 13 Mitglieder des neuen Auswahl-Komitees. THOMAS WINKLER