: Wie sich Luftfeuchtigkeit anhört
Zwölf Musiker, das ganze Frequenzspektrum, ein Klangraum: Das „freq_out Orchestra“ bespielt während der Sonambiente das Gewölbe unter dem Schlossplatz und testet die unheimlichen Möglichkeiten des einzeln-gemeinsamen Musikmachens aus
VON MEIKE JANSEN
Wie Jesus und seine zwölf Apostel beim Abendmahl – an da Vincis Gemälde fühlten sich wohl die meisten beim Konzert des freq_out Orchestra am Samstag erinnert. Zunächst dirigierte Carl Michael Hauswolff, Klangkünstler und freq_out-Kurator, die zwölf MusikerInnen nach und nach mit erhobenem Taktstock aus dem Stockdunkel ins Licht. Der Letzte nahm nach etwa 25 Minuten seinen Platz an der über die gesamte Bühne gezogenen Tafel ein. Damit aber schien sich Hauswolffs Eingriff in die Inszenierung auch schon erschöpft zu haben.
Alle Aufmerksamkeit bekam dann das Orchester: eine Gruppe aus Kapazitäten wie Mike Harding, Labelmacher von Touch Records, der ersten Plattenfirma für elektronische Avantgarde, oder dem in New York lebenden JG Thirlwell alias Foetus oder Wiseblood, der bereits seit den Achtzigerjahren die Avantgardemusik mit Industrial- und Noiseelementen bereicherte. Doch während sich in einem Symphonieorchester die einzelnen Musiker nicht zuletzt über ihr Instrument identifizieren, verschwanden die freq_out-Mitglieder hinter ihren Laptops in der Anonymität. Jedem war zwar ein eigener Frequenzbereich zugewiesen worden, in dem es sich akustisch zu bewegen galt, beim Hören half das jedoch nicht. Wer kann schon die Frequenzen im Bereich von 1.000 bis 2.000 Hertz von denen zwischen 500 und 1.000 Hertz unterscheiden?
So flogen also während des Vortrags die Ambientmassen durch den Raum, sirrten und schredderten. Auf ein aufmunterndes Nicken von Hauswolff und ein unsichtbares Kommando per Headset an die Tontechnik schwoll dann das Orchester zu einer Lärmwoge an. Ein sanftes, raumgreifendes Lächeln –und nach einer Dreiviertelstunde das Konzertende.
Spannenderes hat das freq_out Orchestra unter dem Schlossplatz hinterlassen. Steigt man gegenüber dem ehemaligen Staatsratsgebäude über eine steile Leiter in die Tiefe hinab, gelangt man in mit Tropfsteinen verzierte Katakomben. Nur langsam gewöhnen sich die Augen an die Dunkelheit. JG Thirlwell bläst bei unserem Rundgang alle Teelichter aus, die nicht vor den Stalagmiten am Boden warnen. „Der Sound soll den Raum beschreiben, nicht das Licht“, erklärt er. Die Komplexität und Vielschichtigkeit dieses unterirdischen Hörgartens ist erstaunlich und verwirrend. Auch hier hat jedes Orchestermitglied wieder einen Frequenzbereich und diesmal auch noch eine Parzelle zugewiesen bekommen. Die unterirdische Architektur wird individuell bespielt, die akribisch im Raum angeordneten Töne scheinen aus hunderten von Boxen zu kommen. Dabei stehen jedem der zwölf MusikerInnen nur ein CD-Player, ein Verstärker und zwei Boxen zu.
Spätestens im Gewölbegang stoßen die Klänge aufeinander. Es ist schon an der Grenze zum Unheimlichen, wenn sich die Frequenzbereiche derart überlagern, dass Obertöne entstehen, sich nur wenige Zentimeter weiter ein krass anderes Klangbild abzeichnet oder man erhöhte Luftfeuchtigkeit zu hören glaubt.
„Neue Mitglieder des freq_out Orchestra beginnen immer in den mittleren Frequenzbereichen“, erläutert Thirlwell. Bei jeder erneuten Teilnahme am Projekt bekämen die KünstlerInnen ein nach oben oder unten extremeres Spektrum zugewiesen. Er selbst sei froh, dass er mittlerweile mit 1.000 bis 2.000 Hertz in einem Bereich angekommen sei, in dem sich die Sinne besser reizen ließen. Brandon LaBelle, Klangkünstler aus Kopenhagen, fasst die Intention so zusammen: „Dem freq_out Orchestra liegt kein demokratischer Imperativ zugrunde, in dem die Meinung der Mehrheit regiert. Jedes Mitglied geht über die individuelle Praxis hinaus, um die anderen im Raum zu treffen.“
Das Konzept von freq_out zielt eher auf ein wissenschaftliches Ausloten von Kollektivität ab, in die sich Individuen mit ihren jeweiligen Möglichkeiten einbringen. Schlussendlich erinnert es aber doch an eine kreative WG. Etwa wenn Franz Pomassl am hinteren Ende des Gewölbes seine Parzelle mit einem Drone füllt, der genau auf der Türschwelle auf einen anderen gewaltigen Ton von Finnbogi Pétersens trifft. Ein körperliches Erlebnis – wie von Freunden in der Abgeschiedenheit als großartiger Scherz ausgeheckt.
freq_out 4, Sockelgewölbe desehemaligen Nationaldenkmals,gegenüber dem Staatsratsgebäude,bis 16. 7., 15 bis 20 Uhr