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Archiv-Artikel

chateau schlass von EUGEN EGNER

Ich hatte ziemlich viel Geld mit einer Erfindung verdient (zwei große Pappendeckel, die gegen die morgendliche Sonneneinstrahlung vors Fenster gehängt wurden), so dass ich mir zum ersten Mal in meinem Leben eine Urlaubsreise leisten konnte. Weil ich Woche für Woche Unmengen leerer Weinflaschen zum Altglas-Container schleppte, stand für mich fest, dass ich in eine Weingegend fahren würde, und zwar in eine französische. Aber in welche?

Ich entschied mich für eine aleatorische Methode, um dieses Problem zu lösen. Als wieder ein Dutzend leerer Flaschen zusammengekommen war, griff ich ohne hinzuschauen einfach eine heraus. Welches Weingut das Etikett auch nennen mochte – dort würde ich meinen Urlaub verbringen. „Chateau Schlass“ las ich mit Mühe, das Etikett war über und über vollgekritzelt. An diese Flasche konnte ich mich überhaupt nicht erinnern, doch das wollte nicht viel heißen. Der Winzer hieß, soweit ich entziffern konnte, Phreno Schlinger, der Ort Saveteville.

Ebenda fand ich mich dann nach einer Rolle rückwärts mit sauberen Füßen ein. Mir war schwindlig, und daran sollte sich auch nichts mehr ändern. Direkt auf dem Weingut konnte ich nicht logieren, da Monsieur Schlinger keine Fremdenzimmer vermietete. Im Ort war derzeit nichts frei, doch einen Kilometer außerhalb, auf halbem Wege zum Chateau Schlass, fand sich etwas in einem Haus, das man nicht allzu schnell betreten durfte, weil man sonst auf der anderen Seite gleich wieder im Freien stand.

Jeden Tag ging ich zu Fuß nach Saveteville, um in der Dorfkneipe zu essen und zu trinken. Links vom Weg ins Dorf erstreckte sich, so weit man blicken konnte, das Weingelege. Der Wein wuchs ebenerdig bis an den Straßenrand. Es gab auch einen Baum, der einen baumlangen Schatten warf. Gleich da, wo dieser aufhörte, saß oder lag etwas in den Furchen des Weingeleges, etwas mit langen Ohren. Ich wusste nicht, ob man damit vernünftig reden konnte, aber ich beherrschte sowieso kein Wort Französisch. Deshalb sprachen im Wirtshaus auch alle deutsch. Es wurden im Wesentlichen immer dieselben Sätze wiederholt: „Der teure Wein in der affigen Flasche ist dünn“, „Wir haben das Etikett mit unseren Kugelschreibern vollgekritzelt“ und „Die ganze Welt fällt runter“ – aber allein diese höfliche Geste einem Deutschen gegenüber war doch bemerkenswert.

Ganz besonders beliebt bei den Insassen des Etablissements war etwas, das mir ein Fabulierspiel zu sein schien. Es wurde immer wieder gerufen: „Ein Eichhörnchen muss eine Glühbirne auswechseln und dabei …“ Dann wurden schwierige Aufgaben genannt, die ein Eichhörnchen gewiss nie hätte lösen können. Manchmal hieß es auch „Ein Eichhörnchen muss eine Batterie auswechseln“, aber die Glühbirne kam häufiger vor. Furchtbar gelacht wurde dabei, so lustig war das Spiel. Ich beteiligte mich nie daran, sondern konzentrierte mich aufs Trinken. Irgendwann traute ich mich nicht mehr an dem Etwas mit den langen Ohren vorbei, das da tagein, tagaus in den Furchen neben dem Weg lag. Es war mir nicht länger möglich, in die Dorfkneipe zu gehen. Damit waren meine Urlaubstage in Frankreich gezählt.