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Archiv-Artikel

Panini ist besser als Sex

So aufregend kann das Bildchensammeln sein. Bericht von einer Tauschbörse

Manche haben Sex, manche haben Panini. Keine Frage, was besser ist. Der Austausch der Sammelbilder beschert jedenfalls glücklichere Momente als jeder Austausch von Körperflüssigkeiten. Und auch aufregendere Nächte – oder zumindest Abende wie am vergangenen Montag im „Enzian“.

Das „Enzian“ ist eine leicht spelunkige Kneipe in Kreuzberg und hat den Charme des Übriggebliebenen. Wie auch Wirt Norbert, der früher einmal als „der wahre Heino“ bundesweit Schlagzeilen machte, weil ihn sein Doppelgänger, „der echte Heino“, verklagte und vor Gericht zerrte. Normalerweise ist das „Enzian“ die Zentrale Ostwestfalens in der Hauptstadt. Samstags werden die Bundesligaspiele von Arminia Bielefeld live gezeigt, und einmal im Jahr treten beim „Ostwestfalentag“ im „Enzian“ führende Künstler aus der Region auf, um den Berlinern zu zeigen, wo die Heimat hängt.

Heute ist, wie neuerdings jeden Montag ab 19 Uhr, der Panini-Abend. Die anderen Kinder sind auch schon da. Das heißt, es sind eigentlich nur zehn Kinder, ansonsten rappeln rund 40 Erwachsene durchs Lokal. Darunter erstaunlich viele Frauen. Früher war Panini nur etwas für Jungs. Aber früher war alles anders. Als Arme-Leute-Kind konnte man ein Panini-Album nicht vervollständigen. Doch jetzt schreiben wir das Jahr 2006, und zur Fußballweltmeisterschaft lautet die Devise: „Diesmal kriege ich das Album – koste es, was es wolle – voll!“

Lange nicht mehr so eine quirlige Atmosphäre erlebt. Man setzt sich an einen x-beliebigen Tisch und stellt als Erstes die Frage aller Fragen: „Sollen wir tauschen?“ Und dann geht’s auch schon los. In der Linken den Stift für die Suchliste, in der Rechten den Stapel mit den Bildchen vom Gegenüber. „14?“ – „Nein!“ – „146?“ – „Nein!“ – „211?“ – „Treffer.“ Da und dort wird gejubelt, wenn ein seltenes Stück auftaucht oder ein Team komplettiert wird. Und als Fels in der Brandung steht Norbert der Wirt da, umringt von Kindern, die staunend den „Lehmann“ betrachten. „Darf ich ihn mal halten“, fragt mit leuchtenden Augen eines der Kinder, das auch schon Ende dreißig ist. Berühren darf er den „Lehmann“, der als einzige Karte extra lang bedruckt ist mit den Zusatzinformationen: „Essen, 10-11-1969, 1,90 m, 87 kg, Arsenal (ENG).“

Panini hat bereits vor der WM begonnen, die Bilder zu drucken, und ist beim Nominierungstermin für die einzelnen WM-Kader von einigen Entscheidungen der Trainer überrascht worden – so beim deutschen Team: als Lehmann vor Kahn die Nummer eins wurde. Jetzt haben die Bildermacher Lehmann nachgedruckt mit dem ausdrücklichen Hinweis: „Ihr könnt jetzt selbst entscheiden, wohin ihr diesen Extra-Sticker klebt.“ Nur Kahn-Hasser kleben ihn über Deutschlands zweitbesten Torhüter.

Rund 600 Sticker braucht es. In einem Tütchen am Kiosk finden sich fünf Stück für 50 Cent. Die Bilder werden von Panini nach einem geheimen Algorithmus verteilt. Irgendwann wird es tatsächlich schwer, das Album nur über den Kauf komplettzubekommen. Deshalb explodieren im Internet die Panini-Tauschbörsen. Aber das Internet ist nur der letzte Notanker. Wahre Paninieros jagen persönlich ihre Beute. Und dabei kommt man ganz schön ins Schwitzen. Man muss höllisch aufpassen, in der Hektik die Listen nicht zu vertauschen und Doppelte doppelt zu sammeln. Die Stimmung unter den Bilderjägern ist blendend. Bis auf eine Ausnahme. Er schleicht mit gesenktem Kopf von Tisch zu Tisch. Er hat es am schwersten. Er braucht nur noch ein Bildchen und findet es nicht. Verblüffenderweise sucht er einen Niederländer, obwohl Panini ausgerechnet die deutschen Tütchen mit Holländern überschwemmt hat. Alle hier haben die Oranjes reihenweise doppelt und dreifach, nur Khalid Boulahrouz hat keiner. Inzwischen guckt er griesgrämig wie ein Grüner. Haben die Grünen doch die erste Panini-Polit-Affäre der Weltgeschichte ins Rollen gebracht.

Bei einer Debatte über Hartz IV im nordrhein-westfälischen Landtag saß der CDU-Bauminister auf der Regierungsbank und klebte Panini-Bilder ein. Die Grünen aber waren so dumm, empört eine offizielle Anfrage an die Regierung zu stellen, ob „das Einkleben von Panini-Bildern zu den Arbeitspflichten eines Ministers gehöre“. Selbstverständlich ist Panini wichtiger als Hartz IV. Nur Grüne verstehen so etwas nicht. Aber die machen ja auch Sex, um Kinder zu kriegen.

Zu Beginn des Abends fehlten 46, jetzt ist die Liste bis auf wunderbare elf heruntergetauscht. Weniger werden es auch nicht mehr an diesem berauschend schönen Abend. Zurück bleibt die Panini-Elf der fehlenden Bildchen: Jervis Drummond, Costa Rica (39); Harold Wallace, Costa Rica (44); Edwin Tenorio, Ecuador (87); Justo Villar, Paraguay (114); Ebrahim Mirzapour, Iran (265); Marco Caneira, Portugal (286); Pavel Nedved, Tschechien (368); Vladimir Smicer, Tschechien (373); Philipp Degen, Schweiz (476); Emmanuel Sheyi Adebayo, Togo (527); Vyacheslav Sviderskyi, Ukraine (556).

Euch elf Panini-Freunde werden wir auch noch kriegen – genau wie Jens Lehmann, den eine lobenswerte Kraft aus dem Layout nach der Lektüre dieses Textes dem jubelnden Autor noch kurz vor Redaktionsschluss hereinreichte. MICHAEL RINGEL