: „Es geht um Klarheit im Kopf“
Sportpsychologe Hans-Dieter Hermann, zuständig für die mentale Verfassung der deutschen Nationalspieler, ist überzeugt, dass die DFB-Auswahl ausreichend optimiert ist für den WM-Titel und sich der Druck leistungsfördernd auswirken wird
INTERVIEW MARKUS VÖLKER
taz: Herr Hermann, wie steht es um die Psyche des deutschen Teams?
Hans-Dieter Hermann: Gut. Sehr gut. Das ist keine Verkündigung froher Nachrichten. Es gibt nichts, wo ich dringend intervenieren müsste.
Und was ist mit dem Druck?
Bei Leistungssportlern ist der Druck normal. Und wenn er mit positiven Emotionen einhergeht, dann wirkt sich Druck leistungsfördernd aus. Auch bei einer WM. Die Sorge um den übergroßen Druck ist eine sehr psychologische Sichtweise, keine leistungssportliche.
Gibt es den „gnadenlosen Spieler“, von dem Sie gerne mal sprechen, auch im DFB-Team?
Ja. Gefordert ist nicht gnadenloses Reinhauen auf den Gegner, ganz und gar nicht, sondern konsequentes Handeln. Ein Spieler darf nicht sagen: Ich versuch mal einen Elfmeter. Der Spieler muss sich sagen: Ich hau ihn rechts oben rein. Das muss klar sein. Im Zweikampfs eins zu eins muss der Spieler wissen: Ich geh rechts vorbei. Darum geht es: Klarheit im Kopf. Eindeutigkeit in den Gedanken. Konsequentes Verfolgen dieser Gedanken.
Die gnadenlosen Kicker schotten sich vorm Eröffnungsspiel im Schlosshotel Grunewald ab. Ist das gut?
Die Spieler haben auch Freiräume. Sie können rausgehen. Sie können aber auch im Hotel bleiben und die Kollegen treffen. Die Freiräume werden den unterschiedlichen Mentalitäten der Spieler gerecht.
Gibt es wirklich keine Anzeichen von Nervosität vorm Costa-Rica-Kick?
Es wäre fatal, die Situation als eine Ausnahmesituation darzustellen. Nehmen wir einmal an, jemand wäre ein Turmspringer und macht bei den deutschen Meisterschaften einen sehr guten Sprung. Er fährt dann zu den Weltmeisterschaften und alle sagen: Das ist jetzt was ganz Besonderes. Aber der Turmspringer kann nicht mehr als seinen Sprung gut machen. Den Spielern muss es egal sein, ob es ein Bundesliga-Spiel ist oder das WM-Eröffnungsspiel.
Was können Sie so kurz vorm Eröffnungsspiel noch tun?
Im Sinne eines „Jetzt kommt der Psychologe“ gar nichts. Die Grundlagenarbeit, also das, was in den Köpfen passieren sollte, ist in den letzten Monaten erledigt worden.
Was haben Sie denn genau angestellt mit den Spielern?
Ich bin Optimierungspsychologe. Ich sorge dafür, dass die Konzentrationsfähigkeit möglichst hoch ist. Dass die Spieler mit Kopf und Körper ins Spiel gehen. Ich biete mentales Training an: zum Beispiel das Durchgehen von Laufwegen. Man muss solche Dinge nicht nur praktisch machen, sondern auch mental nachvollziehen und abspeichern. Das kann man üben. Es geht um handhabbare Techniken, sich pushen oder beruhigen, und um die Stärkung des Selbstbewusstseins. Auch dafür gibt es Trainingsformen: Techniken des eigenen Dialogs etwa.
Gab es Spieler, die mit einem Psychologen nichts zu tun haben wollen?
Ich höre aus Ihrer Frage heraus, dass ich herumfragen würde, wer denn ein Problem hat. Dem ist nicht so! Denn ich bin in erster Linie Trainer. Meine Aufgabe ist es, dass der Kopf zum Körper passt. Ein abfälliges „Diesen Scheiß kannst du sonst wohin tun“, das erlebe ich nicht, sondern eine Wertschätzung durch die Spieler. Der Umgang ist angenehm und freundlich. Ich spiele mit den Spielern auch mal Billard, fahre zu meiner großen Freude manchmal im Mannschaftsbus mit. Sicher gibt es Profis, die ihre eigenen Techniken haben. Die setzen sich dann bei den freiwilligen Angeboten nicht so häufig dazu.
Beraten Sie auch Jürgen Klinsmann?
In einem organischen Kontext. Es ist zum Beispiel falsch, dass ich Jürgen in Körpersprache trainieren würde. Das ist nicht mal im Ansatz wahr. Dazu ist Jürgen viel zu erfahren. Er ist sehr authentisch, auch wenn das mancher nicht glauben mag. Sie erleben ganz viel Jürgen Klinsmann auf dem Podium der Pressekonferenz.
Tatsächlich?
Ja, tatsächlich!
Glauben Sie, dass Sie das Ansehen der Sportpsychologie gehoben haben?
Das Bild, dass Sportpsychologen Spieler auf die Couch legen, ändert sich wirklich. Ich biete Training für den Kopf an. Das ist nicht ehrenrührig oder seltsam, sondern im Leistungssport professionell. Die Spieler bekommen bestimmte Handwerkszeuge an die Hand und lernen, sich damit selber zu regulieren: bei Rückständen, bei zu viel Euphorie. Die Spieler sollen Negativerlebnisse schnell verarbeiten. Wenn sie zehn Minuten brauchen würden, um sich von einem verschossenen Freistoß zu erholen, dann sollten sie besser ausgewechselt werden.
Ist die Mannschaft vom Kopf her stark genug, um Weltmeister zu werden?
Diese Mannschaft ist vom Kopf her stabil. Der Kopf steht ihr bei einem möglichen Titelgewinn sicher nicht im Weg.