: Die Leiden des Owen H.
Der kanadische Bajuware Owen Hargreaves hat einen schweren Stand bei seinen englischen Teamkollegen. Dafür teilt er mit Trainer Eriksson, vermutet der Boulevard, ein schmutziges Geheimnis
AUS BÜHLERTAL RAPHAEL HONIGSTEIN
„Wie ein echter Deutscher“, sagt der Journalist des Independent lächelnd zu seinem Kollegen, als Owen Hargreaves im Training einen Elfmeter sicher verwandelt. Das ist durchaus nett gemeint – und eines dieser Komplimente, die der Münchner nicht hören möchte. Er will doch nur dazugehören. Einfach so wie die anderen sein. Nein, man lässt ihn nicht.
Kein englischer Nationalspieler hat in den letzten Wochen auf der Insel so viel Abneigung zu spüren bekommen. Es fing damit an, dass seine WM-Nominierung durch die Bank mit einem medialen „Warum?“ quittiert wurde. Selbst die Berufung von Theo Walcott, Arsenals 17-jährigem Stürmer ohne Premier-League-Erfahrung, der das Turnier nur als Schnupperkurs erleben dürfte, fand mehr Fürsprecher beim gemeinen Volk.
Auch eine passable Leistung als rechter Verteidiger beim mit 1:2 verlorenen Test gegen Weißrusslands B-Elf wurde ignoriert. Ein paar Tage später, nach dem 3:1 gegen Ungarn in Manchester, brachen endgültig alle Dämme. Hargreaves wurde in der Halbzeit beim Stande von 0:0 eingewechselt, das Spiel endete 3:1 für England, doch im Fernsehstudio der BBC ereiferten sich drei Experten derart über seine Abspielfehler in den ersten Minuten, dass Moderator Gary Lineker intervenieren musste. Am Tag darauf befand selbst der ehrwürdige Guardian, Hargreaves hätte allen gezeigt, dass er nicht in der Lage sei, „den Job zu machen“. Im Boulevardblatt Sun wurde er gewohnt blumig mit einem „Massenmörder“ verglichen und die Daily Mail witterte ernsthaft eine Verschwörung: Hargreaves sei wohl nur im Kader, weil er ein schmutziges Geheimnis von Sven-Göran Eriksson kenne. Dafür wurde sein feiner Steilpass auf Walcott mit keinem Wort gewürdigt. Der Junge hatte frei vor dem Tor verzogen, aber dafür traf laut dem Fernsehkommentator Hargreaves die Schuld: „Der Winkel war zu spitz.“
Um der Stimmung entgegenzuwirken, ergriff der 25-Jährige vor ein paar Tagen eine dramatische Maßnahme: Er lud eine Runde von Journalisten zu einem klärenden Gespräch. Die resultierenden Schlagzeilen waren etwas positiver. Sympathisch fanden die Engländer vor allem, dass er seine vielen Medaillen aus München zu Hause in einer großen Schachtel aufbewahrt. Bei den Teamkollegen hat er aber weiter einen ganz schweren Stand. „Natürlich ist etwas anders für mich, denn die anderen kennen sich alle aus der Liga“, hat Hargreaves erzäht – und schnell hinzugefügt, dass er damit kein Problem habe.
In Baden-Baden sieht das etwas anders aus. „Sort it out, Owen man!“ („Mensch Owen, reiß dich zusammen!“), raunzt ihn Rio Ferdinand an, als er im Trainingsspielchen eine Ecke verschuldet. Der Tonfall verrät, dass er in der Hierarchie der Mannschaft ziemlich weit unten angesiedelt ist, wenn man ihn überhaupt richtig dazuzählen darf. Als in Kanada aufgewachsener Bajuware und – neben Walcott – einziger Mann ohne Premier-League-Praxis bleibt er ein Außenseiter, auch wegen seinem leicht kanadisch angehauchten Akzent. Der Boulevard führt ihn als „The Canuck“, das ist das etwas abfällige kanadische Äquivalent von „Yankee“.
Sein zweites Leid ist das der Bundesliga. Sie findet außerhalb der Landesgrenzen quasi nicht statt, schon gar nicht in England. Kein Nationalspieler hat im Ausland bisher irgendetwas gewonnen, von Hargreaves’ Triumphen und guten Leistungen bekommt in der Heimat aber niemand etwas mit. Der Champions-League-Erfolg von 2001, als er großartige Spiele zeigte, ist längst vergessen. Aus den Augen, leider nicht aus dem Sinn: Sein Name ist in England zu allem Überfluss auch noch zum Synoym für Erikssons zaghafte Einwechslungen geworden. Nur sieben seiner 30 Spiele hat er von Anfang an gemacht und keines über 90 Minuten auf seiner eigentlichen Position im defensiven Mittelfeld. Der Schwede brachte ihn meist früh, wenn ein Vorsprung zu verwalten war, spät, wenn man eh schon im Rückstand lag.
In Deutschland wird er vorwiegend auf der Bank Platz nehmen. Angeblich hat ihn Eriksson als Spielmacher-Ausschalter auf dem Zettel, falls es zum Beispiel gegen Brasiliens Ronaldinho gehen sollte. Der Daily Express sieht ihn jedoch in einer anderen Rolle: „Hargreaves sollte als Touristenführer angestellt werden, er kennt sich hier ja aus.“