Alles schwimmt in Gefühlen

GESTUTZT „My Name is Khan“ von Karan Johar besticht mit politischem Irrwitz. Leider ist der Film im deutschen Kino nur gekürzt zu sehen

„My Name is Khan“ klagt das Recht auf Abweichung und auf Gleichberechtigung des Verschiedenen ein

VON EKKEHARD KNÖRER

Zum Höhepunkt von „My Name is Khan“ steht Rizwan Khan, die Hauptfigur, in einer Kapelle tief in Amerikas Süden und singt mit der rein schwarzen Gemeinde „We Shall Overcome“. Auf seiner Odyssee durch die Vereinigten Staaten ist Khan, ein in den USA lebender Inder muslimischen Glaubens, in die kleine Stadt Wilhemina zurückgekehrt, die von einem „Katrina“-artigen Sturm verwüstet worden ist. Er leistet aus Solidarität mit den Schwachen Wiederaufbauarbeit an Seelen und Häusern. Ein Schicksalsschlag hat auch ihn zum Heimatlosen gemacht. Nach 9/11 wird er Opfer antimuslimischen Hasses der US-Bürger und hat nur noch ein Ziel: den amerikanischen Präsidenten zu treffen und ihm persönlich einen entscheidenden Satz zu sagen: „My name is Khan and I am not a terrorist.“

Das Problem mit dem Höhepunkt des Films, dem in seinem Irrwitz sehr zu Herzen gehenden „We Shall Overcome“-Solidaritätsgesang, ist nun dies: Er existiert nicht mehr. Regisseur Karan Johar höchstselbst hat ihn in der um glatte vierzig Minuten gekürzten Fassung für deutsche Kinos gestrichen. Auf der Berlinale, in den USA, in Großbritannien, in Indien sowieso, gab es die knapp dreistündige Originalfassung zu sehen. Für Deutschland hat 20th Century Fox den weitestgehend in den USA spielenden Film noch einmal westernisiert. Man fühlt sich glatt an die Zeiten erinnert, in denen die Berlinale, die schon früh Bollywoodfilme zeigte, manchmal Kopien aus Indien bekam, in denen die langen Song-and-Dance-Einlagen einfach fehlten. Das war der vorauseilenden Annahme von Seiten der indischen Produzenten geschuldet, dass diese den westlichen Betrachter doch zu fremdartig anmuten würden.

Radikale Form von Naivität

Gewiss ist die Liebe des Westens zu Bollywoodfilmen immer auch ein Exotismuszusammenhang. Und gerade in diesem ist „My Name is Khan“ aus Sicht des Verleihers offenbar heikel. Weil er in den USA spielt und dann auch noch eine hochpolitische Geschichte erzählt, wenngleich natürlich mit jener radikalen Form von Naivität, die die absurdesten, darin aber auch erhellendsten und bewegendsten Wendungen erst möglich macht. Und selbstverständlich geht in einem Bollywood-Blockbuster wie diesem, in einem Film mit Superstar Shah Rukh Khan nichts ohne das Verflüssigungsmittel Liebe. Gefühle sind das Medium, in dem in Bollywood alles schwimmt: Zwischenmenschliches selbstverständlich, aber auch Gesellschaftliches, das Erzählen und nicht zuletzt die Politik. Erstaunlich ist, wie das eine im glückenden Fall zum anderen passt.

So auch, im Original jedenfalls, hier. Rizwan Khan wird als junger Mann nach dem Tod der Mutter in die USA zu Verwandten geschickt. Bis zum Ende des Films besteht er in der Aussprache auf einer Fremdheitsmarkierung: „My Name is Khan“ – zuverlässig mit dem Zusatz, dass man es kehlig „Chaan“ ausspricht und nicht „Kaan“. Weitere Abweichung vom Normalheldentum: Khan hat Asperger, eine leichte Form von Autismus. Wie Shah Rukh Khan und der Film das darstellen, ist fast durchweg erfreulich. Der Asperger-Held ist noch da, wo er nervtötend ist, liebenswert. Tatsächlich verliebt sich eine der schönsten Frauen Bollywoods – Kajol als Hindu-Exil-Inderin Mandira – nach längerem Werben in ihn. Ihrem kleinen Sohn wird Khan mehr Bruder als Vater. Und alles bricht auseinander, als nach 9/11 die hindu-muslimische Familie Opfer antimuslimischer Hetze in den USA wird.

„My Name is Khan“ ist, mit anderen Worten, ein Film, der sehr insistent das Recht auf Abweichung und auf Gleichberechtigung des Verschiedenen einklagt. Mit seinem Mantra und Credo zerschlägt Khan wieder und wieder das Vorurteil: dass einer, der fremd aussieht und klingt und noch dazu Muslim ist, des Terrorismus verdächtig sein muss.

Holpern Richtung Liebe

Etwas befremdlich ist es nun schon, dass ausgerechnet dieser so abweichungsfreudige Film für den deutschen Markt im Wesentlichen auf seine Liebesgeschichte und damit das westliche Vorurteil, das man von Bollywood hat, zurechtgestutzt wird. Die in der Langfassung von politischem Irrwitz wie heftigem Gefühlswechselbad geprägte zweite Hälfte des Films holpert nämlich sehr hopplahopp nun zurück Richtung Liebesglück.

Gewiss bleibt Shah Rukh Khan als Held einer Politpikareske eine Schau. Und nach wie vor tritt der möglicherweise erste fiktive Blockbuster-Obama auf, um zu beweisen, dass Bollywood immer noch schneller auf jüngste Gesellschaftsereignisse reagiert als die restliche Filmwelt. Dennoch für alle ernsthaft Interessierten der Tipp: Ab Ende Juni kann man die Originalfassung von „My Name is Khan“ auf DVD aus England bestellen.

■ „My Name is Khan“. Regie: Karan Johar. Mit Shah Rukh Khan, Kajol Devgan u. a. Indien/USA 2010, 126 Min.