piwik no script img

schurians runde weltenEinfach mal die Klappe halten

„Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt hat mal was Interessantes gesagt: Heutzutage gibt es zu viele Menschen, die reden von Dingen, von denen sie nichts verstehen, aber sie tun so, als verstünden sie etwas davon.“ (Oliver Kahn)

Weil am Abend alles zu spät ist, soll es hier um Ausnahmeerscheinungen gehen. Um Menschen, die anders als Hans Leyendecker, Hellmuth Karasek oder Christine Westermann in Sachen Fußball einfach mal die Fresse halten. Etwa Altkanzler Helmut Schmidt. Oder Italiens Altnationaltrainer Enzo Bearzot. Jupp Derwall verdankt dem übrigens seine Lieblingstrophäe.

Derwall war ja sechs Jahre lang Bundestrainer. Heute lebt der 79-jährige angenehm schweigsam im Saarland, umgeben von Zeichnungen der Enkel und Erinnerungen an die Laufbahn. Wie Derwall mir bei einem Hausbesuch erzählte, hängt er besonders an einer Auszeichnung der italienischen Sportpresse. Die kürte ihn 1982 zum besten Trainer des WM-Turniers.

Auch das wäre freilich kaum der Rede wert, hätten die Journalisten einfach nur einen Narren am rheinischen Fußballgemüt gefressen. Aber sie gaben Derwall etwas, was sie einem anderen vorenthalten wollten.

Denn Enzo Bearzot, der Fußball immer nur als Spiel sah, lag im Clinch mit seinen Landsleuten von Gazzetta dello Sport oder Corriere. In einer Trotzreaktion gewann seine azurne Auswahl die Weltmeisterschaft. Weder Trainer noch Spieler sprachen in den Turnierwochen ein Wort mit den italienischen Medienvertretern. Und als kleine Rache gab es den Medienpreis dann nicht für den Triumphator, sondern den weißhaarigen Kontrahenten. Derwall freute sich – auf dem Fußballplatz reichte es ja nur zum zweiten Platz.

Vielleicht wird sich die Geschichte in den nächsten Wochen wiederholen: ein deutscher Presseliebling und ein ungeliebter Weltmeister aus Italien. Denn wie heute – im von Skandalen umtosten Calcio – herrschte auch damals Ungemach auf der Halbinsel. Wegen eines Sportwettenbetrugs saß Paolo Rossi eine mehrjährige Sperre ab. Dennoch berief Bearzot den Stürmerstar ohne Spielpraxis in den Kader. Die WM-Qualifikation gelang nur mit Ach und Krach, die Vorrunde überstanden die Azzurri mit drei minimalistischen Unentschieden gegen Polen, Peru und Kamerun. Die Stimmung war auf dem Tiefpunkt. Aber dann trumpfte die himmelblaue Squadra in den Finalrunden gegen Argentinien, Brasilien und schließlich Deutschland auf. Der dritte Titel.

Auch im Erfolg blieb sich Pfeifenraucher Bearzot treu. Auf dem Rückflug von Madrid spielte er Karten, neben sich den WM-Pokal, und hielt dazu schmunzelnd die Klappe. CHRISTOPH SCHURIAN

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen