Meine WM : Der wahre Fan ist Zivilist
Was Männerseelen bewegt: Redakteure der taz nrw plaudern prägende WM-Erlebnisse ausWie ich als Oranje-Fan meinen heroischen Einsatz bei der WM 1974 in Deutschland mit 14 Tagen Knast belohnt sah
■ Deutschland-Holland in Deutschland? Bloß das nicht! Das WM-Endspiel 1974 hat mir zwei Wochen Knast eingebracht. Nicht etwa, weil ich an jenem 7. Juli meinen Frust über die meuchelmörderische Hölzenbein-Schwalbe an Twens jenseits der Grenze ausgelassen hätte. Mitnichten! Das Vaterland hatte zum 1. Juli gerufen, ich sollte zur Fahne, zur Grundausbildung an der Waffe, anschließend ausgerechnet für ein Jahr an den Standort Deutschland – nach Sennelager in Ostwestfalen.
Nun war ich erklärtermaßen Pazifist. Genau genommen seit einer Woche. Seit ich die blonde Marijke vom Mädchengymnasium kannte. Also seit dem gemeinsamen Besuch des Argentinienspiels am 26. Juni im Gelsenkirchener Parkstadion. Das Holland 4-0 gewann. Viel wichtiger aber war: Ich hatte auch Karten für das Spiel Holland-Brasilien im Dortmunder Westfalenstadion am 3. Juli (die ich übrigens ganz einfach mit dem Fahrrad im benachbarten Geldern im Vorverkauf besorgt hatte). Dieses Match im Schlamm von Dortmund gewannen Johan Cruijff und Co. dann ebenfalls, und der 2-0-Sieg brachte die siegesgewissen Abräumer in Oranje ins Finale nach München.
Das lag nun aber 700 Kilometer zu weit weg für einen, der eigentlich schon seit Tagen in olivgrünem Trikot die Spieler des Warschauer Pakts das Fürchten lehren sollte. Trotzdem sollten drei weitere Tage – die ich ja, wie ich meinte, ebenfalls im Dienst der nationalen Sache verbringen würde – den Kommiss nicht weiter stören. Und so verbrachte ich auch den Endspieltag unter Zivilisten: vor dem Farbfernseher in der Dorfkneipe. Bis zum bitteren, unverdienten (!) Ende.
Acht Tage zu spät traf ich dann mit (in Holland gewerkschaftlich erstrittener) XXL-Mähne in der Bernhard-Kaserne in Amersfoort ein. Dort konnte der oberste Demokrat in Uniform, ein verbissen dreinschauender Holländer mit molukkischem Migrationshintergrund, mein freimütig eingestandenes Mitfiebern für die nationale Sache nicht recht würdigen. Mit 14 Tagen Arrest hinter der Wache, das Handbuch mit den Spielregeln für den Soldaten bei Fuß, begann ein neuer Lebensabschnitt. Als wäre das 1:2 vom Vortag nicht schon Strafe genug gewesen.
HENK RAIJER