Fester Deich ums Wasserglas

In der Großen Koalition in Kiel knirscht es, von Krise will aber niemand sprechen. Die Sparbeschlüsse des Kabinetts lassen jedoch bei CDU und SPD vor den Parteitagen nächste Woche die Basis meutern

Die Grünen: „Die Vorlagen passen nicht zusammen. Da rasen zwei Züge aufeinander zu“

Von Esther Geißlinger

In Kiel ist Krise: Regierungskrise, Koalitionskrise, Weltuntergang. Behaupten die schleswig-holsteinischen Zeitungen. Die Gerüchteküche brodelt: Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) habe Innenminister Ralf Stegner (SPD) aus der Regierung werfen wollen, nur Kanzlerin Angela Merkel habe das verhindert. Die CDU sei sauer auf Carstensen, weil der sich in Asien herumtreibt, statt zu Hause auf den Tisch zu hauen. Die SPD sei sauer auf Stegner, der alle möglichen Intrigen einfädelt, nur um Landesvorsitzender zu werden.

„Die große Koalition bricht? Warum sollte sie?“, fragt Christian Kröning, Landesgeschäftsführer der SPD. Tatsächlich beteuerten gestern alle Beteiligten ihre Treue: „Meine Deiche stehen, meine Deiche sind fest“, erklärte der Ministerpräsident aus dem chinesischen Ningbo. Dabei sind Deiche laut Stegner gar nicht notwendig: „Das ist ein Sturm im Wasserglas.“ Und Kröning sagt, es gehe nur „um eine Sachfrage“. Die hat es allerdings in sich.

In der kommenden Woche finden Sonderparteitage beider großer Parteien statt, am Dienstag trifft sich die CDU, am Freitag die SPD. Die Delegierten beider Volksparteien werden getrennt tagen, aber vereint knurren: Die Basis meutert gegen die Sparbeschlüsse der Regierung, unter denen vor allem die Kommunen leiden sollen. In den vergangenen Wochen hatten Gemeindevertreter aller politischen Farben Protestbriefe geschrieben und sich zu einer Groß-Demo in Kiel getroffen.

Vordergründig also ein Konflikt zwischen Basis und Regierung und einer, der hart geführt wird: „Der Leitantrag, für den Sparhaushalt der Regierung zu stimmen, wird wahrscheinlich abgelehnt“, sagt Andreas Breitner. Er sollte es wissen: Der Bürgermeister von Rendsburg ist auch Sprecher der SPD-regierten Kommunen. Zudem will er Stegners Stellvertreter im Landesvorsitz werden. Aber beim Haushaltsstreit zeigt der Bürgermeister keine Gnade für die Landesregierung: „Die Koalition wird an so einer Sachfrage nicht scheitern. Und außerdem bin ich für die Koalition nicht verantwortlich. Wenn durch so einen Haushalt die Kommunen ruiniert werden, ist das für mich ein zu hoher Preis“, sagte er der taz.

Bei der CDU ist der Druck sogar noch größer: Schließlich haben bei der vergangenen Kommunalwahl die Schwarzen fast alle Rathäuser geholt. Die Regierungsvertreter und Parteiführungen beider Seiten müssen also versuchen, die unteren Ränge irgendwie zu beschwichtigen.

Dafür knirscht es nun wirklich im Gebälk der Koalition. „Die Vorlagen von CDU und SPD passen schlicht nicht zusammen. Da rasen zwei Züge aufeinander zu. Wir sind gespannt, wer das Gleis wechseln wird“, kommentiert die Grüne Monika Heinold. Denn im christdemokratischen Leitantrag, den Landes-, Kreis- und Ortspolitiker erarbeitet haben, stehen Dinge, die die SPD auf keinen Fall mittragen kann: Damit die Kommunen wie geplant 120 Millionen Euro einsparen können, will die CDU unter anderem bei Kindergartenstandards, Schülerbeförderung und Gleichstellungsbeauftragten kürzen.

Dieser „Pakt für Schleswig-Holstein“ wurde „von den Kommunalpolitikern voll mitgetragen“, erklärte Frank Sauter, finanzpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion, gestern bei der Vorstellung des Papiers. Und als Seitenhieb auf die SPD: „Dies unterstreicht die Regierungsfähigkeit der CDU auch als führende Kraft in den Kommunen.“

Der SPD-Vorsitzende Claus Möller konterte sofort: Die Vorschläge seien indiskutabel und ein Verstoß gegen den Koalitionsvertrag. Die CDU, nahm er an, werde am Ende die Kompensationsvorschläge annehmen, die Stegner vorgelegt hatte. Mit denen aber war die mutmaßliche Krise losgegangen: Stegner habe sich mit unabgesprochenen Vorschlägen vorgewagt und dadurch den Ministerpräsidenten verärgert, wird gemunkelt. Stegner kontert trocken, es sei seine Aufgabe als Fachminister, Ideen zu entwickeln: „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht.“

Dabei, so klappert es aus der Gerüchteküche, werde hinter den Kulissen schon an einer neuen Regierung gebastelt. Da müssten die Vertreter der FDP, die für neue Koalitionen grundsätzlich zu haben sind, eigentlich schon ihre Ministerzimmer ausmessen, oder? „Ich fühle mich in meinem Büro noch ganz wohl, danke“, sagt Heiner Garg von der FDP-Fraktion und stellvertretender Landesvorsitzender. Es gebe keine Verhandlungen jenseits der schwarz-roten Regierung, versichert er. Allerdings sei „beinahe jede andere Konstellation besser als die große Koalition“.