: Jukebox
Im Wolkenkuckucksheim: The Lightning Seeds
Fügen wir uns ins Unvermeidliche: Auch das Pop-Leben in Berlin geht die nächsten vier Wochen nicht ohne Fußball. Pop Kick 06 heißt die wohl größte, Fußball und Popmusik kombinierende Veranstaltungsreihe, die von heute an bis zum Endspiel „Popstars aus den WM-Nationen“ und alle Spiele live auf einer Großleinwand präsentiert. Ein unvermeidlicher Gast aus den WM-Nationen ist selbstverständlich Ian Broudie, der morgen mit seiner Band Lightning Seeds im Treptower Park spielt. Broudie ist der Musiker, der für die 96er-Europameisterschaft in England „Three Lions“ schrieb, jenen Song mit dem genauso schönen wie unvermeidlichen wie sinnigen Refrain „Football’s Coming Home“.
Allerdings streiten sich die Popgelehrten darüber, ob „Three Lions“ wirklich an die Fußballgassenhauer „This Is England“ (1986) von The Clash, „World in Motion“ (1990) von New Order und „Wonderwall“ (1994) von Oasis heranreicht. Das weniger, weil sie „Three Lions“ poptechnisch die Klassiker-Berechtigung absprechen wollen, der passt schon. Sondern weil die Lightning Seeds schlicht und einfach eine so uncharismatische und spröde Band sind. Schon als sie 1990 mit ihrem Album „Cloudcuckooland“ debütierten, fiel die Diskrepanz zwischen der Ausstrahlung Broudies und der seiner Songs auf; das umso mehr, da zu jener Zeit in England geravt wurde, was das Zeug hielt und Ian Brown von den Stone Roses und Shaun Ryder von den Happy Mondays die großen Popmacker waren. Dagegen Ian Broudie mit seiner komischen Brille, seiner Wolkigkeit und seinem engelhaften Prä-Harry-Potter-Habitus! Ebenfalls Anti-Rave-o-Lution waren die Songs auf „Cloudcuckooland“: klassisches britisches Songwriting, klassisches Liedgut, oft eine Idee zu konstruiert schön, oft säuselig, aber meist so, dass einem hier ein Melodiechen und dort ein Einfall immer wieder in die Spur zurückholten. Hell und klar, ohne rebellische Stachel, frei ab vier Jahren, an denen konnte niemand Anstoß nehmen.
Noch heute verkörpern die Lightning Seeds aufs Beste, was in England Tradition hat: Pop und Pop-Biederkeit. Musik, die auf dem Bau funktioniert, aber auch in der Jukebox zwischen Happy Mondays, Arctic Monkeys und Franz Ferdinand. Rosen schneiden, den Kindern auf dem Spielplatz zusehen, gesittet älter werden und natürlich zum Fußball gehen oder Fußball gucken – das geht alles viel besser mit guter Popmusik und ohne Phil Collins oder Pur. GERRIT BARTELS