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Archiv-Artikel

Grüne Vorstopper im Tiergarten

In Berlin wachen 23.000 Polizisten über die Fußball-WM. Viele sitzen nur auf der Auswechselbank – vorausgesetzt, bei dem Spektakel bleibt alles friedlich. Nur manche arbeiten bis zu 15 Stunden am Tag

von PLUTONIA PLARRE

Die Hecktür der Polizeiwanne ist weit geöffnet. Auf dem Klapptisch hinter dem Fahrersitz ist ein Spielbrett ausgebreitet. Die Köpfe der Polizisten sind über Heerscharen winziger Soldaten gebeugt, die die Welt unter sich aufgeteilt haben. Risiko. Die Roten halten Südamerika fest im Würgegriff. Nordamerika ist von den Schwarzen besetzt. Die Blauen, Grünen und Gelben verteilen sich über Afrika, Europa und Asien. Aber sie kommen nicht richtig in die Zweikämpfe. Macht nichts. Zum Üben ist vier Wochen Zeit.

Vier Wochen, die die Angehörigen der geschlossenen Einheiten der Berliner Polizei mehr oder weniger in ihren Wannen verbringen werden. Vorausgesetzt, die WM in Berlin verläuft friedlich. „Wir sind hoch motiviert“, zitiert einer der Beamten Polizeipräsident Dieter Glietsch. Die Fahrzeugbesatzung nickt. Sie meint es ernst.

Einige hundert Meter vor dem Eingang zum Tiergarten stehen fünf Männer und eine Frau. Alle tragen das gleiche Outfit: schwarze lange Hosen, schwarze T-Shirts und Westen in Signalfarbe, die sie als Angehörige einer Sicherheitsfirma ausweisen. Obwohl es erst Mittag ist, hat die Truppe alle Hände voll zu tun. Jeder Mensch, der den Zaun in Richtung Grünanlage passieren will, wird abgetastet, der Inhalt von Rucksäcken und Taschen auf Glasflaschen und Waffen durchsucht. Auch Rentner und Mütter mit Kinderwägen, die nicht zur Fanmeile auf der Straße des 17. Juni wollen, sondern im Park spazieren gehen, werden der Prozedur unterzogen. Protest regt sich nicht. „Ist doch für die Sicherheit“, sagt eine Seniorin.

Seine Schicht dauere 13 Stunden, erzählt ein Security-Mann hinter vorgehaltener Hand. Von elf Uhr morgens bis nach Mitternacht. Einen Vorgeschmack auf das, was in den kommenden vier Wochen auf ihn zukommt, hat er am Mittwochabend erhalten, als die Fanmeile eröffnet wurde. Die Schlangen der Partygäste vor den Sicherheitsschleusen hätten sich zum Teil bis zum Potsdamer Platz zurückgestaut. Hat er wirklich jeden Einzelnen abgetastet und ihm in die Taschen geguckt? „Natürlich. Aber bei 600 habe ich aufgehört zu zählen. Irgendwann spürst du deine Hände kaum noch.“ Ganz irre würden ihn die Fliegen machen, die sich bei Einbruch der Dunkelheit angezogen von der Signalfarbe auf die Weste setzten. „Die halten dich für eine Blüte.“ An die Mücken, die rauskommen, sobald es abends wärmer wird, mag er gar nicht denken.

Der Führungsstab der Berliner Polizei, der die vierwöchige WM koordiniert und leitet, residiert im Polizeipräsidium am Platz der Luftbrücke. Die Räume sind wohl temperiert. Die Beamten an den Telefonen sprechen mit gedämpfter Stimme. Auf dem langen Konferenztisch stehen diverse Laptops, auf einem großen Monitor an der Wand werden Bilder von den Fanmeilen live übertragen. Auf einem anderen Bildschirm ist NTV eingeschaltet. Gerade läuft ein Autorennen. Später werden über diesen Bildschirm die Fußballspiele zu sehen sein. Die Kenntnis über den genauen Spielstand ist Voraussetzung, um die Lage draußen präzise einschätzen zu können. Einen Tag vor Anpfiff ist die Stimmung im Führungsstab ausgesprochen relaxed. Von einem lauen Job im Vergleich zu dem der Sicherheitskräfte draußen vor Ort möchte Einsatzleiter Harald Kussack aber nicht sprechen. „Es ist wie im Flugzeugcockpit“. Solange nichts passiert, könne das Flugzeug von der Crew per Joystick gesteuert werden. „Aber wehe, es macht Anstalten runterzufallen. Dann müssen alle ganz schnell reagieren.“

Alle, das sind 23.000 Berliner Polizeiangehörige, die für die Zeit der WM Urlaubssperre haben. 16.000 davon sind Vollzugsbeamte, die auf der Straße eingesetzt werden. Maximal 6.000 auf einen Streich. Der Rest darf sich ausruhen. Nach einer Schicht von vier Tagen zu jeweils elf Stunden gibt es eineinhalb Tage frei. Aber groß feiern und Alkohol trinken ist da auch nicht, weil man auch dann das Handy anlassen muss, um jederzeit abrufbar zu sein.

Den härtesten Job haben die Securities. Von bis zu 15-Stunden-Schichten wird an den Eingängen zum Tiergarten berichtet. Der Trupp der Sachsen, der dort etwa Wache schiebt, hat noch nicht einmal ein Dach über dem Kopf. Er wohnt in Zelten in Waidmannslust. Auch in anderen Bundesländern wurden Leute rekrutiert.