Zweifeln, staunen, wundern

Der Journalist Georg Brunold berichtet von „Besuchen auf fünf Kontinenten“. Dabei erweist er sich als Kenner des Nahen Ostens und Afrikas – und irrt sich über die Folgen des Irakkrieges

„Afrika kommt zu uns! Suzanne Wanjiru hat noch nicht das Anmeldeformular ausgefüllt, als ihr schon die Atemmaske übers Gesicht gezogen wird. Wir sind im Universitätsspital Zürich, und nun sehen es alle, die die Frau bislang nicht beachtet haben: Hier steht Afrika am Schalter der Notfallaufnahme, dunkelhäutig und ansteckend, ganz unser Bild vom kranken Kontinent, und vier Tage später wird die Spitalrechnung der Kenianerin bereits bei über 8.000 Euro stehen.“

Weil sie Blut gespuckt hatte, war die 29-Jährige ins Krankenhaus gefahren und hatte dort Angst und Schrecken verbreitet. Verdacht auf Tuberkulose! Was sonst. Das Personal der Klinik brauchte das Blut gar nicht zu sehen: „Es reicht vollauf, dass die Afrikanerin soeben davon gesprochen hat.“ Lässt sich die dumpfe Furcht vor den vermeintlich in ihrer Heimat beständig lauernden Gefahren, die in Europa weit verbreitet ist, anschaulicher schildern? Wenn es zum Wesen der Literatur gehört, das Große im Kleinen zu erkennen und kenntlich zu machen, dann ist der Journalist Georg Brunold ein Literat.

Zunächst einmal und vor allem aber ist er ein glänzender Reportageschreiber. Wozu eben nicht nur ein guter Stil und die Fähigkeit zur Beschreibung eindringlicher Bilder gehören – sondern auch intellektuelle Redlichkeit. Es kann nicht ausbleiben, dass deshalb manche Abschnitte in seinem Sammelband „Ein Haus bauen“ verstören.

Es braucht Tapferkeit und wohl auch eine gehörige Portion Trotz, in ein neues Buch einen Text aus dem Jahr 2002 aufzunehmen, in dem vorsichtige Zustimmung zu einem US-Angriff auf den Irak ausgedrückt wird. „Warum denn, last but not least, sollte der Mittlere Osten niemals und in keinem Fall für eine positive Überraschung gut sein? Man denke doch, plötzlich stellte sich heraus, dass irakische Normalverbraucher den Schergen Saddams sogar Texaner vorziehen?“

Brunold verbindet diese Fragen mit scharfer Kritik an der Politik der Vereinigten Staaten: „Wäre bloß ein Amerika von wahrhaft imperialer Statur in Sicht! Welches selbst bei den Vasallen für ein wenigstens minimales Wohlergehen Sorge tragen wollte, statt die Verantwortung für den erworbenen Einfluss vollständig dem Heißhunger ihrer Energie- und Rüstungswirtschaft zum Opfer zu bringen.“ Eine interessante Überlegung. Und doch: Wie konnte gerade ein profunder Kenner der arabischen Welt sich hinsichtlich der möglichen Folgen des Irakkrieges so verschätzen?

Ein Kenner der arabischen Welt und auch Afrikas ist der ehemalige Korrespondent der Neuen Zürcher Zeitung zweifellos. In beiden Regionen hat er Jahre seines Lebens verbracht. Aber der Untertitel seines jüngsten Buches lautet „Besuche auf fünf Kontinenten“, und so sind in dem Band neben Reportagen aus dem ihm ebenfalls vertrauten Europa auch solche aus den USA und aus Asien zu finden.

Stilistisch liegen auch diese weit oberhalb des Niveaus dessen, was in Tageszeitungen die Regel ist. Aber es wäre dennoch nicht nötig gewesen, diesen Texten eine lange Lebensdauer zu schenken, indem man sie zwischen Buchdeckeln verewigt. Was Brunold selbst in seinem Vorwort als Aufgabe eines Reporters beschreibt – zweifeln, staunen und verwundert sein –, löst er dort nicht ein. Der Eindruck will nicht weichen, dass er sich in Asien und den USA um ein Interesse bemüht, das er nicht wirklich verspürt. Fair will er bleiben, und das gelingt ihm. Mehr gelingt ihm nicht.

Spricht das für oder gegen den Band als Ganzes? Dafür. Der gute Reporter ist kein Neutrum, kein Computer, kein seelenloses Wesen. Er hat eine eigene Geschichte und einen eigenen Blick auf die Welt. Erst das verschafft ihm Glaubwürdigkeit. Die Identität anderer kann nur analysieren, wer über eine eigene Identität verfügt. Und das, so will es Brunold, soll die Klammer zwischen den 25 ganz unterschiedlichen Texten in diesem Buch sein: die Frage nach Identität. Wie sie entsteht, wie sie sich definiert, wie sie von anderen definiert wird. Vielleicht gibt es in Zeiten so genannter Religions- und Kulturkriege kein wichtigeres Thema.

BETTINA GAUS

Georg Brunold: „Ein Haus bauen. Besuche auf fünf Kontinenten“. Die Andere Bibliothek, Eichborn Verlag, 349 Seiten, 28,50 Euro