: „Hätten 74 das Finale verdient“
INTERVIEW MARTIN TEIGELER
taz: Herr Bierbaum, werden Sie sich eines der WM-Spiele in NRW im Stadion anschauen?Dieter Bierbaum: Bisher sieht das nicht so aus. Ich fürchte, dass ich mir das alles im Fernsehen anschauen werde. Ich habe trotz aller Bemühungen bisher leider keine Karten bekommen.
Sie waren Organisationschef bei der WM 1974 am Spielort Düsseldorf. Trotzdem bekommen Sie heute keine Tickets vom DFB?Tja, das hat mich auch gewundert. Von den neun OK-Chefs der neun WM-Spielorte von 1974 leben ja heute noch sieben. Aber an uns hat man anscheinend überhaupt nicht mehr gedacht. Das ist traurig. Wenn man überlegt, wie viele Karten heute an Ehrengäste und über Sponsoren verteilt werden, und dann gibt es da noch sieben Leute, die damals gute Arbeit geleistet haben, aber heute vergessen wurden. Und dann sehe ich diese WM-Ticket-Show im Fernsehen, wo massenweise Eintrittskarten nach dem Zufallsprinzip herausgehauen werden.
Über die seltsame Ticketvergabe regen sich viele auf. Können Sie sich noch erinnern, wie schwer es bei der WM 1974 war, an Karten zu kommen?Auch damals war die Nachfrage groß. Wir hatten in Düsseldorf Vorverkaufsstellen, vor denen die Leute übernachtet haben, um an Tickets zu kommen.
Wie teuer waren die Tickets?Die waren relativ billig. So zwischen 20 und 80 Mark haben die glaube ich gekostet.
Wie haben Sie reagiert, als Köln statt Düsseldorf zum WM-Spielort für 2006 bestimmt wurde?Ich war sehr enttäuscht. Aber wir waren ja 1974 eben schon WM-Standort – und Köln nicht. Diesmal hat man sich halt für Köln, Gelsenkirchen und Dortmund in NRW entschieden.
Woran ist Düsseldorfs Bewerbung gescheitert?Diese Bewerbung ist nicht so fußballideal gelaufen. In Kaiserslautern etwa hat man die ganze Bewerbung um den 1. FCK herum gebaut. Das hat funktioniert. Bei der Düsseldorfer Bewerbung fehlte der Fußball, fehlte das Leben. Man hat die Fortuna als Traditionsclub, der deutscher Meister und zweimal Pokalsieger war, zu sehr versteckt.
Fortuna spielt heute nur noch drittklassig. 1974 hatte die Stadt eine starke Bundesligamannschaft vorzuweisen.Ja, in der WM-Saison waren wir Dritter in der Bundesliga.
Sie waren zu der Zeit Stadionsprecher im Düsseldorfer Rheinstadion. Wie kam es dazu, dass Sie auch WM-Organisationschef dort wurden?Ich war damals auch noch Generalsekretär des Deutschen Skiverbandes und lernte bei einer Tagung 1969 den DFB-Vizepräsidenten und WM-OK-Chef Hermann Neuberger kennen. Er hat mich gefragt, ob ich im Organisationskomitee mitarbeiten wollte. Zudem habe ich für den DFB das olympische Fußballturnier 1972 in München organisiert. Als Abteilungsleiter beim OK des DFB in Frankfurt habe ich die neun WM-Außenstellen aufgebaut und selbst die Leitung der Außenstelle in Düsseldorf übernommen. Insgesamt waren das fünf spannende Jahre beim DFB.
Was waren Ihre Aufgaben?Eigentlich alles. Wir hatten zehn Referate von der Stadionsicherheit über Gesundheitsfragen bis zum Protokoll.
Heute reden alle über das Thema Sicherheit. Hooligans gab es 1974 noch nicht, oder?Nein. Aber das Thema Sicherheit war dennoch wichtig. Zwei Jahre zuvor hatte es das schlimme Attentat auf die israelische Mannschaft bei den Olympischen Sommerspielen in München gegeben. Deshalb waren wir vorgewarnt. Alle WM-Mitarbeiter, vom Ordner bis zum Würstchenverkäufer, wurden genau durchgecheckt von der Polizei.
Lief die WM in Düsseldorf nach Plan?Nicht ganz. Eigentlich waren alle davon ausgegangen, dass die DFB-Elf ihre Vorrundengruppe gewinnt und dann in der zweiten Finalrunde zweimal in Gelsenkirchen und einmal in Hannover spielen sollte. Doch dazu kam es wegen der 0:1-Niederlage gegen die DDR nicht. Deutschland wurde nur Gruppenzweiter. Zwei der folgenden DFB-Spiele fanden in Düsseldorf statt.
Schön für Düsseldorf.Ja, wir haben uns sehr gefreut. Aber damit kam eine Menge Arbeit auf uns zu. Die ganzen Vorbuchungen für Ehrengäste, Journalisten und Zuschauer hatten sich erledigt. Auf einmal wollten alle nach Düsseldorf. Das war ein großes Tohuwabohu. Unsere Telefonleitungen sind zusammengebrochen und wir bekamen massenweise Postkarten mit Ticketanfragen.
Nach der schwachen Vorrunde hat die Mannschaft um Beckenbauer, Müller und Co. in Düsseldorf ihre Form gefunden. Woran lag das?Düsseldorf war sicher die Drehscheibe für den späteren Finalsieg in München. Im Rheinstadion hat die Mannschaft gegen Jugoslawien (2:0) und Schweden (4:2) toll gespielt. Das war auch ein Verdienst des Publikums. Ich werde Franz Beckenbauer nicht vergessen. Er hat nach diesen beiden Siegen gesagt, das Düsseldorfer Publikum hätte das WM-Finale verdient gehabt.
In seinen Memoiren lobt der damalige Bundestrainer Helmut Schön die großartige Unterstützung der Düsseldorfer Zuschauer. Er führt sie aber auf das kreative und begeisterungsfähige Eishockeypublikum der DEG zurück.Ich habe den Helmut Schön sehr geschätzt und ihn auch damals während der WM kennengelernt. Aber wir hatten schon ein echtes Fußballpublikum in Düsseldorf. Allerdings waren das nicht nur Fortunafans, da waren immer auch Fans aus anderen Städten dabei bei den insgesamt fünf WM-Spielen im Rheinstadion.
In Deutschland zittern heute alle vor dem Besuch des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad. Gab es 1974 in Düsseldorf auch Probleme mit ausländischen Staatsgästen?Ja, da gab es eine schwierige Situation. Der jugoslawische Staatspräsident Tito war auf Einladung von NRW-Ministerpräsident Heinz Kühn zu Gast. Die Sicherheitsbehörden warnten aber davor, dass er ein WM-Spiel seiner Elf anschaute. Da schrillten alle Alarmglocken. Das war aus Sicherheitsgründen zu heikel, sagten damals die Behörden. Aber es wurde ein diplomatischer Kraftakt, ihm das auszureden. Am Tag eines Jugoslawien-Spiels gab es dann vormittags prompt eine Bombendrohung. Da hat die Polizei gesagt, Sie müssen bis 14 Uhr entscheiden, ob das Spiel stattfindet. Ich als OK-Chef.
Was haben Sie gemacht?Erst mal ging mir der Pulsschlag. Die NRW-Polizei hat dann alles, was eine Uniform trug nach Düsseldorf geschickt. Bis 13.30 Uhr hatten die mit ihren Polizeihunden das gesamte Stadion nach Sprengstoff abgesucht und gottseidank nichts gefunden. Das Spiel konnte stattfinden. Aber die Probleme mit den Jugoslawen gingen weiter.
Wieder diplomatische Verwicklungen?Nein, kurz vor dem Spiel Deutschland gegen Jugoslawien monierte der Schiedsrichter die Stollenlänge des jugoslawischen Torwarts. Diesen Schiedsrichter werde ich nie vergessen: Armando Marques hieß der. Ein Brasilianer. Der stellte sich vor mich und machte mich persönlich für die Stollen dieses Spielers verantwortlich. Da bin ich wirklich nervös geworden und musste neue Fußballschuhe in der passenden Größe mit den jugoslawischen Betreuern organisieren. Das Spiel hat Herr Marques dann mit 20-minütiger Verspätung angepfiffen. Aber ansonsten fingen alle Spiele in Düsseldorf pünktlich an.
Was ist der wichtigste Unterschied zwischen dem Fußball 1974 und dem von heute?Die Dimension Geld stand nicht so im Vordergrund wie heute. Heute heißt es FIFA Weltmeisterschaft 2006, damals hieß es einfach Fußball-Weltmeisterschaft 1974. Auch damals war die FIFA Veranstalter und wir Ausrichter. Aber das, was die FIFA heute vorschreibt, haben wir in diesem Ausmaß nicht gehabt. Wir konnten noch relativ gut selbst entscheiden, ohne dass alles vorgeschrieben wurde.
FIFA-Präsident Sepp Blatter will angeblich in allen WM-Stadien genau auf Höhe der Mittellinie sitzen. War das früher auch schon so?(lacht) Nein, der FIFA-Chef Sir Stanley Rous hat natürlich auch einen guten, oder sogar den besten Tribünenplatz bekommen. Aber das da irgendetwas verrückt wird, finde ich unvorstellbar.
Hätten sie sowas als OK-Chef mit sich machen lassen?Natürlich nicht. Es wäre auch baulich gar nicht möglich gewesen im Rheinstadion.
Dieses alte Düsseldorfer WM-Stadion wurde vor ein paar Jahren abgerissen. Waren Sie gar nicht traurig, dass es platt gemacht wurde?Natürlich hängt man daran. Ich war der einzige, der das Rheinstadion vom WM-Umbau 1972 bis zur Sprengung 2002 erlebt hat. Als Stadionsprecher der Fortuna war ich bei 619 Pflichtspielen dabei – mehr als Bundesligarekordspieler Karl-Heinz Körbel mit seinen 602 Partien. Damit halte ich im übrigen bis heute den Bundesligarekord.