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Archiv-Artikel

Das eigene Land in der Fremde

Eine erhöhte Aufmerksamkeit für die vielen nicht so bedeutenden literarischen Preise? Ein größeres Interesse an Literatur, in der das jugoslawische Dilemma eine Rolle spielt? Was aus der Debatte um Peter Handke und den Heine-Preis folgen könnte

von GERRIT BARTELS

Überlegt man sich, was für Folgen die Handke-Heine-Debatte hat, muss man zurück auf Start: Am 23. Mai wurde die Vergabe des Heine-Preises an Peter Handke vermeldet, und niemand war im Vorfeld dieser Verkündung besonders aufgeregt. Der Heinrich-Heine-Preis ist einer von über tausend Literaturpreisen, die jährlich in Deutschland verliehen werden, der dritthöchstdotierte zwar, in seiner Bedeutung aber nicht im Entferntesten mit dem Büchner-Preis und dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels zu vergleichen. Neue Literaturpreisträger werden in den Feuilletons in der Regel kurz an der Seite oder unter dem Strich von dankbaren Kurzmeldern gewürdigt, und Feuilletons mit viel Platz drucken ab und an eine Dankesrede. Vielleicht sorgt der Streit um Handke demnächst für eine größere Sensibilität und Aufmerksamkeit für andere Preise. Im Sinn einer nur auf Nobel-, Büchner- und Friedenspreis fixierten Öffentlichkeit wäre das zu begrüßen.

Andererseits kommt man einmal mehr auf den Gedanken, dass Literatur nur mehr in Form von Debatten und Skandalen höchste Aufmerksamkeit garantiert. Die Weidermann-Debatte, die Handke-Heine-Preis-Debatte, Özdamar versus Zaimoglu, keine Atempause, Literaturtamtam wird gemacht. Den Rest besorgt Elke Heidenreich, und dass auch Romane von Frank Schulz, Elke Schmitter oder sonst wem erscheinen, einfach so, das sieht kaum noch ein Schwein, um es mit F. K. Wächter zu sagen.

Nun müsste man wiederum auf einen anderen, hoffnungsfrohen Gedanken kommen, dass zumindest Handkes Bücher als Folge der Debatte gelesen werden, und zwar genau, wenigstens die über Jugoslawien. Etwa der seltsame, autobiografisch grundierte Kindheitsroman „Die Wiederholung“, ein Roman über Slowenien wie über die unterdrückte slowenische Sprache, über Sprache überhaupt. In dem ein Satz steht wie: „Es war die Gewißheit, endlich, nach fast zwanzig Lebensjahren in einem ortlosen Staat, einem frostigen, unfreundschaftlichen, menschenfresserischen Gebilde, auf der Schwelle zu einem Land zu stehen, welches […] mich nicht beanspruchte als einen Schulpflichtigen, als Wehr-Ersatz- oder ‚Präsenz‘-Diener, sondern, im Gegenteil, sich von mir beanspruchen ließ, indem es das Land meiner Vorfahren, und so, mit all seiner Fremde, auch mein eigenes Land war, endlich.“ Von da könnte es nicht weit sein, Handkes Entsetzen zu verstehen, als aus dem Land, in dem er sich am meisten „zu Gast in der Wirklichkeit“ fühlte, ein nach „Mitteleuropa“ strebendes Land wurde, als Jugoslawien auseinander krachte und er davon nicht loskam.

Es ist ein Gewinn, diese Bücher zu lesen, den Umwegen Handkes zu folgen, mit ihm nach Serbien zu reisen, Eindrücke zu bekommen, zu verfolgen, wie er den Medienbetrieb mit seinerseits stotternden, stolpernden Sätzen zum Stottern und Stolpern bringen möchte. Ja, man kann sich wundern, wie hier einer versucht, Authentizität gegen globalisiertes Einerlei zu setzen; auch darüber, dass seine Poesie im Fall Jugoslawien immer einen Gegenort hat, gegen die einseitige Wahrnehmung des Jugoslawienkrieges etc. Und man kann sich ärgern über seine letzten Texte an der Seite Milošević’, „Rund um das Tribunal“ und das Literaturen-Elaborat „Die Tablas von Daimiel“: oft unlesbares Zeugs, gerade Letzteres „ein Umwegzeugenbericht“, der keine Handke-Kenntnis erhöht – nicht ohne, aber auch nur schwer mit dem Wissen um die Vorgeschichte.

Zu vermuten ist, da viele Beiträge zu Debattenhochzeiten ohne Handke-Lektüre vorgenommen wurden, dass die Zeit nicht reichen wird, Handke zu lesen: Bald muss die nächste Sau durch den Literaturbetrieb gejagt werden. Mag es wenigstens reichen, nennen wir einfach zwei aktuelle Beispiele für einen Roman, wie Miljenko Jergović’ „Buick Rivera“, in dem ein Bosnier und ein Serbe im amerikanischen Oregon von ihrer Vergangenheit eingeholt werden. Oder Saša Stanišić’ im August erscheinenden Roman „Wie der Soldat das Grammofon repariert“, der von einer Kindheit im bosnischen Visegrád zu Zeiten des Jugoslawienkriegs erzählt. Es muss nicht immer Handke sein, sollte es auch nicht. Wenn das Interesse an Literatur, in der das jugoslawische Dilemma eine Rolle spielt, wächst, die Bereitschaft zum Nacharbeiten dieses Krieges, das Verstehenwollen, dann hätte die Debatte um den Heine-Preis vielleicht noch ihr Gutes.