: Libyen brüskiert die UNO
FLÜCHTLINGE Mitten in einer sensiblen Phase europäisch-libyscher Verhandlungen wirft das Gaddafi-Regime das UN-Flüchtlingshilfswerk aus dem Land
BERLIN taz | Der angekündigte Rauswurf des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR aus Libyen hat erregte diplomatische Reaktionen hervorgerufen, die allerdings zugleich aufgrund diplomatischer Rücksichtnahme öffentlich bedeckt ausfallen. Das UNHCR erklärte am gestrigen Donnerstag, es bestätige, sich „der Sorgen der libyschen Regierung bewusst zu sein“ und „einen offenen, konstruktiven Dialog mit Libyen zu suchen“.
Am Dienstag hatte das UNHCR mitgeteilt, Libyen habe der Organisation am Mittwoch der Vorwoche ohne Angabe von Gründen die weitere Arbeit auf libyschem Gebiet untersagt. Das UN-Flüchtlingshilfswerk hat seit 1991 ein Libyen mit derzeit 26 Angestellten, zumeist Einheimische, das Flüchtlinge registriert und nach Möglichkeiten unterstützt. Nach Angaben von UNHCR-Sprecherin Melissa Fleming hat das Hilfswerk in Libyen 9.000 Flüchtlinge und 3.700 Asylsuchende registriert. Die größte Herkunftsgruppe sind Palästinenser, gefolgt von Irakern, Sudanesen, Somalis, Eritreern, Liberianern und Äthiopiern. Das UNHCR gibt ihnen Obdach und Zugang zu Bildung und Gesundheit, außerdem Rechtsberatung zur Weiterreise in ein Land, das sie permanent aufnimmt. Weil Libyen aber die UN-Flüchtlingskonvention nicht unterzeichnet hat und auch kein Verfahren zur Gewährung von Asyl kennt, ist diese Arbeit aus Sicht der libyschen Behörden illegal.
Die besondere Brisanz des Rauswurfs ergibt sich daraus, dass Libyen eines der wichtigsten Transitländer für afrikanische Migranten Richtung Europa ist und neuerdings eng mit der EU und insbesondere mit Italien bei der Abwehr von Flüchtlingen auf dem Mittelmeer zusammenarbeitet. Erst am Sonntag registrierte das UNHCR-Büro einen Hilferuf eines Flüchtlingsbootes nahe Malta mit 20 meist aus Eritrea stammenden Passagieren. Sie wurden am späten Montag von einer libyschen Patrouille geborgen.
In Kritik geraten ist allerdings die libysche Praxis, aus Europa zurückgeführte illegale afrikanische Migranten in Internierungslager in der Wüste zu schicken. Die Flüchtlingsorganisation „Pro Asyl“ geht davon aus, dass Libyen das UNHCR ausgewiesen hat, damit niemand mehr die libyschen Menschenrechtsverletzungen gegenüber Flüchtlingen dokumentieren könne. Im September 2009 hatte UNHCR-Direktor Antonio Guterres erklärt, dass Libyen „nicht in der Lage ist, Asylsuchenden einen Schutzraum zu gewähren“.
Während die EU-Kommission sich „besorgt“ gegenüber dem libyschen Schritt zeigte und Vermittlung anbot, blieb die internationale Kritik relativ bedeckt. Der Rauswurf des UNHCR erfolgte nämlich mitten in einer heiklen Phase von Verhandlungen zwischen Libyen und der EU über ein Kooperationsabkommen, das neben Handelsbeziehungen und Investitionsbeziehungen auch die Frage der Rückführung der aus Libyen nach Europa weitergereisten afrikanischen „Illegalen“ regeln soll. Die 2008 begonnenen Verhandlungen sollen bis Jahresende abgeschlossen werden. Am Mittwoch unterzeichneten Vertreter der EU und der libyschen Regierung in der Hauptstadt Tripolis ein erstes Vorabkommen für den Zeitraum 2011–13 über Zusammenarbeit bei Bildung und Gesundheit sowie „gemeinsames Handeln im Kampf gegen illegale Einwanderung“. DOMINIC JOHNSON