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Archiv-Artikel

„Sie reagieren wie Arten im Tierreich“

FORDERUNG Die Fixierung der Unternehmen nur auf den Profit ist eine relativ neue Erfindung. Der Exbanker Sukhdev schätzt hingegen die „Corporation 2020“. Aber wie dorthin kommen?

Pavan Sukhdev

■ Er weiß, warum er multinationale Konzerne kritisiert, er kennt sie von innen: 1994 fing Sukhdev bei der Deutschen Bank an und leitete zuletzt 2008 deren Wertpapier- und Handelssparte in Indien. Solange seine Zahlen stimmten, erzählt er, hätten die Kollegen es ihm auch verziehen, wenn er im Urlaub tagelang unerreichbar in irgendwelchen indischen Wäldern unterwegs war. Umweltbuchhaltung war sein Hobby, „so wie andere Leute wandern oder tauchen“, erklärt Sukhdev. Zum Beispiel die Leistung der Bienen: Wie viele Milliarden Dollar bringt deren Bestäubung von Bäumen den Bauern mit der Obsternte ein?

■ Als die EU und die Bundesregierung 2007 einen Leiter für die Studie „The economics of ecosystems and biodiversity“ – kurz TEEB – suchte, griff Sukhdev zu und wurde mit einem Schlag weltbekannt. Die Deutsche Bank stellte ihn für diese Arbeiten frei.

■ Den Job bei der Bank gab er 2011 auf. Mit einem Stipendium der Yale School of Environment schrieb er das Buch „Corporation 2020 – Warum wir Wirtschaft neu denken müssen“, erschienen bei Oekom, 296 Seiten, 20 Euro.

INTERVIEW MARCUS FRANKEN

Herr Sukhdev, viele Unternehmenslenker können privat ganz nette Menschen sein. Jedoch ist die Gewinnmaximierung eine Vorgabe in ihrem Arbeitsvertrag. Dieses Ziel ändert alles?

Pavan Sukhdev: Viele Menschen agieren für ihre Firma viel gewissenloser als privat. Auch wenn sie einen Sinn für Fairness haben, setzen sie Interessen ihres Unternehmens rücksichtslos durch. Ein Manager mag eigentlich ein sorgender Typ sein, als Personalchef kürzt er Gehälter und entlässt Mitarbeiter. Zu Hause trennt er Glas und Papier – seine Firma produziert Sondermüll.

Sind wir nicht schon über den Punkt hinaus, wo es nur um Profite geht? Bewegen wir uns Richtung Nachhaltigkeit?

Es gibt Unternehmer, die hier vorangehen. Und es gibt Manager, die das gerne möchten. Aber lassen Sie uns doch mal die großen Firmen mit ambitionierten Ökozielen zusammenrechnen: Walmart mit einem Jahresumsatz von 470 Milliarden Dollar; Puma mit 15 Milliarden, Unilever mit 65, die indische Infosys mit 7 Milliarden und so fort. Selbst wenn wir großzügig kalkulieren, kommen wir auf weniger als 1 Prozent des Weltsozialprodukts. Und wenn wir deren Zulieferer mit hineinnehmen, bleiben wir global unter 5 Prozent der Wirtschaftsleistung. Wir haben kein Problem mit den Vorbildern. Es gibt zu wenige Nachahmer.

Gewinnmaximierung – ist das nicht das Naturgesetz der Wirtschaft, gegen das sowieso kein Kraut gewachsen ist?

Nein, im Gegenteil. Das ist ein ziemlich junges Phänomen. Am Anfang waren Unternehmen nur im Auftrag von Staaten unterwegs. Sie waren auf Zeit gegründete Einheiten mit einem limitierten Auftrag: Straßen und Gebäude zu bauen, Steuern einzutreiben oder auch Kriege zu führen. Wenn da etwas schiefging, musste der Staat in vollem Umfang haften. Erst ab 1820 in den USA und ab 1850 in England änderte sich das. Unternehmen wurde erlaubt, nur noch mit dem Kapital zu haften, das Investoren ihnen zur Verfügung gestellt hatten – das ist die Geburt der Gesellschaft mit beschränkter Haftung. Und erst ab 1870 wurde es in den USA Firmen erlaubt, sich in allen denkbaren Feldern zu betätigen. Seitdem dürfen Unternehmen alles tun, was sie wollen, wo sie wollen und wie lange sie wollen. Das hat Unternehmen sehr, sehr flexibel und erfolgreich gemacht.

Als Unternehmer kann ich aber auch alles verlieren. Der Erfolg ist die Belohnung für den, der etwas riskiert – sagen die Ökonomen jedenfalls.

Das ist eine verklärte Perspektive. Die dominierenden Unternehmen heute sind Kapitalgesellschaften mit beschränkter Haftung, die haben ein sehr geringes Risiko. Seit dem Zweiten Weltkrieg wurden die Märkte auf Druck der multinationalen Unternehmen massiv dereguliert. Die Firmen können sich heute weltweit da bedienen, wo das Preis-Leistungs-Verhältnis am besten ist: Rohstoffe in Afrika; Verarbeitung in China und Indien, wo die Löhne niedrig sind; Absatz in Europa, Japan und Nordamerika, wo die Kunden hohe Qualität wünschen und das auch bezahlen können. Ein globales Unternehmens jongliert mit den weltweiten Preisunterschieden. Das ist das Erfolgsmodell unserer Zeit.

Wie wollen Sie das bremsen? Ein wichtiger Schritt ist es, das Fremdkapital in den Firmen zu kontrollieren. Wenn Konzerne nicht mehr mit eigenem Geld, sondern mit geliehenen Geldern expandieren, gehen sie oft extrem hohe Risiken ein, weit über ihren eigenen Firmenwert hinaus. Wenn sie scheitern, bedroht ihr Untergang viele Menschen und sie müssen von der Politik gerettet werden. Dabei sind das keine vom Aussterben bedrohten Tiere. Das sind Monster! Man muss die Kreditaufnahme von großen Firmen genauso kontrollieren, wie das jetzt bei Banken passiert.

„Gute Firmen“ sind für Sie Unternehmen wie der Outdoor-Bekleider Patagonia, die Software-Firma Infosys und Natura, ein brasilianischer Kosmetikhersteller. Was ist gut an denen?

Ein Unternehmen kann sich als Heuschrecke aufstellen, die die Erde rücksichtslos abgrast. Oder sein Geschäft als Treuhänder der Natur betreiben. Patagonia will die besten Sportsachen der Welt herstellen, ohne das auf Kosten der Natur zu machen. Firmen wie Infosys schaffen Bildung, ihnen liegt daran, das Humankapital zu verbessern. Andere Unternehmen organisieren sich als Gemeinschaften: Natura Cosmeticos in Brasilien vertreibt seine Produkte über ein Netzwerk von 1,2 Millionen Hausfrauen, davon profitieren alle. Solche Firmen erwirtschaften nicht nur für sich Gewinn, sondern sind auch ein Gewinn für Umwelt und Gesellschaft. Sie sind doppelt erfolgreich. Das ist für mich die „Corporation 2020“, aus meiner Sicht das Unternehmensmodell der Zukunft.

Diese Unternehmen arbeiten in Marktnischen, in denen die Kunden wegen der Umwelt auch mal mehr für die Produkte zahlen. 11 der 15 vom Umsatz her größten Unternehmen der Welt sind hingegen Öl- und Kohlekonzerne.

Die wollen sich nicht ändern und die können sich auch nicht ändern. Unternehmen sind wie Arten im Tierreich, die sich entsprechend ihrer Umweltbedingungen entwickeln. Die ökologischen Bedingungen werden von Politik, Preisen und Institutionen bestimmt. Und diese Rahmenbedingungen sind für die fossilen Energien immer noch sehr günstig. Politik, Preise, Institutionen – alles falsch.

Wie soll in dem Umfeld Nachhaltigkeit kommen?

Stand der Dinge ist doch: Erstens, die alten Institutionen funktionieren nicht im ökologischen Sinne. Die nationalen Regierungen können die Herausforderungen nicht lösen, weil sie von den alten Firmen abhängig sind, von deren Wachstum, von hoher Beschäftigung. Zweitens: Die Macht liegt in den wirtschaftlichen Sektoren. Es macht wenig Sinn, die Energieversorgung allein in Deutschland zu ändern. Oder nur in Indien oder China. Eine internationale Firma verlagert dann ihre Aktivitäten. Das ist wie bei der Wurst: Wenn sie da an einer Seite drücken, wandert das Brät ans andere Ende.

Und wie wollen Sie die ganze Wurst bekommen?

Wir brauchen neue politische Formate, eine Art G-20-Treffen der wichtigsten Firmenchefs. Bleiben wir bei der Energie: Die CEOs der Firmen, die zusammen 80 oder 90 Prozent Marktanteil haben, und die fünf wichtigsten Regierungschefs der Welt müssen sich an einen Tisch setzen und einen gemeinsamen Pfad für Klimaschutz Richtung 2-Grad-Ziel beschließen. Nur das hätte Aussicht auf Erfolg und nicht Treffen von 100 oder mehr Staatsrepräsentanten.

Das vollständige Interview erscheint in Zeo2, einem vierteljährlichen Magazin für Umwelt, Politik und Wirtschaft, das der taz gehört. Seit Mittwoch am Bahnhofskiosk. www.taz.de/zeo2