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Archiv-Artikel

Sommerfußball in Berlin

Schon zum Eröffnungsspiel wurde die Fanmeile vor dem Brandenburger Tor Deutschlands größte Fußballarena. Die friedliche Stimmung dort hat sich inzwischen über die ganze Stadt ausgebreitet

von UWE RADA

Die Fanmeile am Brandenburger Tor ist nicht nur Deutschlands größte Fußballarena. Sie wechselt auch ständig die Farben. Nach dem Schwarz-Rot-Gold zum WM-Auftakt leuchtete das Areal zwischen Siegessäule und Brandenburger Tor gestern in Blau, Weiß und Rot, den Farben der Niederlande und Serbien-Montenegros. „Eine Superstimmung“, kommentierte ein holländischer Fan den 1:0-Sieg seiner Mannschaft. Karten für das Spiel in Leipzig hat er nicht bekommen, also ist er nach Berlin gefahren. „Einfach der bessere Ort zum Feiern“, meinte er.

Tatsächlich herrschte auch gestern an der Fanmeile eine fast heitere, gelassene Stimmung. Statt grölender Fans 150.000 Fußball-Touris mit guter Laune – einmal mehr glich die Stadt einem internationalen Backpackertreff, nur dass das Sonnenbrillenpublikum diesmal nicht zur Love Parade kam, sondern zur Fußballweltmeisterschaft.

Sommerfußball statt Randale – das überraschte selbst die Berliner Polizei. „Offenbar sind auch Straftäter Fußballfans“, kommentierte ein Sprecher die Stimmung auf der Fanmeile, warnte aber zugleich: „Wir wollen nicht übermütig werden.“

Dazu gibt es auch keinen Anlass. So wagte am Freitagabend auf der Fanmeile eine kleine Gruppe offensichtlich rechtsextremer Jugendlicher ab und zu den Hitlergruß. Gleichwohl gingen Gesten wie diese fast unter. Die Fans ignorierten die Rechten, direkt neben ihnen konnten sich problemlos brasilianische mit tunesischen Anhängern verbrüdern. Insgesamt nahm die Polizei 19 Personen fest.

Das ist nicht nur für die Polizei wenig angesichts der 300.000 Fans, die zum Eröffnungsspiel ihre Meile zum Tanzen gebracht hatten. „Wunderbar“ sei die Atmosphäre am Brandenburger Tor gewesen, sagte Berlins Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). „So kann das Fußballfest weitergehen.“

Friedlich und ausgelassen war die Stimmung auch am Treptower Park, wo etwa 25.000 Fans das 4:2 der Deutschen gegen Costa Rica feierten. Volles Haus meldeten auch der Pfefferberg, die Kulturbrauerei und die großen „Public Viewing“-Stätten wie die Waldbühne oder die Adidas-Arena vor dem Reichstag. Einzig in den Kneipen verloren sich manchmal nur ein paar Gäste. Der Trend geht bei dieser WM eindeutig zur Großbildleinwand.

Wohin er bisher nicht geht: zum Shopping vor und nach dem Fußball. Zumindest nicht am Eröffnungswochenende, wie der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg, Nils Busch-Petersen, feststellte. Viele Händler wollen nun nach den Erfahrungen der ersten WM-Woche entscheiden, ob sie an den Sonderöffnungszeiten festhalten, so Busch-Petersen: „Es ist erst der Anfang.“

Gewöhnt haben sich die Berliner dagegen schnell an das Fahnenmeer. Vor allem Autos und Fahrräder fahren die Nationalfarben der 32 Teilnehmerländer durch Berlin, beobachtet Jens Hennlein, Inhaber des „Flaggenhauses am Alex“. Neben Deutschlandfahnen verkaufen sich vor allem die Wimpel der WM-Exoten. „Je kleiner das Land, desto wichtiger die Fahne.“

Aber auch Deutschlandfahnen finden neue Abnehmerkreise. „Wir wollen eine Deutschland- und eine Spanienfahne“, sagt eine Frau aus Prenzlauer Berg, die gemeinsam mit Mann und Sohn beim Einkaufen ist. „Man darf das alles nicht so ernst nehmen“, sagt ihr Mann. Die WM könne dazu beitragen, dass sich der Umgang mit Nationalsymbolen weiter normalisiere. So seien selbst im Szenebezirk Prenzlauer Berg viele Deutschlandfahnen zu sehen. Zur neuen Normalität gehören aber auch türkische und arabische Jugendliche, die mit Deutschlandfahnen durch Kreuzberg ziehen.

Ausgerechnet die Berliner Polizei soll dagegen am bunten Fahnenschwenken nicht mehr teilhaben dürfen. Nachdem der übergroße Teil der Mannschaftswagen am Freitag noch mit schwarz-rot-goldenen Wimpeln durch die Stadt gefahren war, hat Polizeipräsident Dieter Glietsch die Notbremse gezogen. „Beamte sind zur Neutralität verpflichtet“, sagt Polizeisprecher Bernhard Schodrowski zur Begründung. Sie könnten im Dienst nicht als Fußballfans unterwegs sein. „Wir wollen zwar keine Spaßbremse sein, aber das Einschreiten der Beamten könnte erschwert werden, wenn sie als Sympathisanten einer Mannschaft auftreten.“

Auch für Flughäfen, Bahnhöfe und Rathäuser wurden keine Deutschlandfahnen aus dem Depot geholt. Stattdessen wurden knapp 2.000 Flaggen mit dem Fifa-Logo aufgehängt. In der Begründung zeigte sich Martin Steltner, Sprecher der Innenverwaltung, vorschriftenfest: „In der Flaggenverordnung ist geregelt, dass beispielsweise zu National- oder Trauerfeiertagen hoheitlich beflaggt wird, aber nicht zu Sportereignissen.“

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