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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS POLITIK VON OBEN Die falschen Aufreger

Köhler geht, Gauck wird Held, und die oberwichtige Ost-FDP rückt in den Blick. Und die Militärpolitik? Fehlanzeige

Streubomben in Obamas Auftrag – was muss eigentlich passieren, damit so etwas hier interessiert?

Die Finanzkrise führt dazu, dass selbst die Nato sparen muss. Das ist gut für den Frieden in der Welt. Diese Aussage ist allzu schlicht gestrickt? Sie berücksichtigt nicht die Gewissensqualen von Nato-Politikern vor einem Angriff? Und auch nicht die äußerst differenzierten Überlegungen von Militärexperten hinsichtlich der Strategie, der Ziele und der jeweiligen Wahl der Waffen?

Ja, bestimmt. Eigentlich sollte der Rest der Bevölkerung ohnehin am besten den Mund halten, wenn scharf geschossen wird. Das war im Wilden Westen – oder auch: in der preußischen Hochkultur – doch ebenfalls bewährte Praxis. Wie es ausgehen kann, wenn sich Laien zu militärischen Fragen äußern, hat gerade erst Horst Köhler erfahren müssen. Dabei war er ganz brav und hatte nur wiederholt, was Bestandteil der Nato-Doktrin und im Weißbuch der Bundeswehr nachzulesen ist: dass militärische Gewalt auch zur Sicherung wirtschaftlicher Interessen angewandt werden kann.

Es gibt gute Gründe, das für verfassungswidrig zu halten. Aber man hätte es nicht dem seinerzeitigen Bundespräsidenten anlasten sollen. Es war noch nie besonders hilfreich, den Überbringer einer schlechten Botschaft zu köpfen.

Schnee von gestern. Der Streit hat sich erledigt, und die Republik hat in Joachim Gauck einen neuen Volkstribun gefunden und somit auch ein neues Thema. Ohnehin gibt es im Zusammenhang mit dem Rücktritt von Horst Köhler und der Suche nach seinem Nachfolger viel wichtigere Dinge zu bedenken als die geltende Militärdoktrin: was die Entwicklung für Merkel bedeutet. Und für das Verhältnis zwischen der Linken und den den Sozialdemokraten herrscht. Und ob die bedeutende Ost-FDP wohl bereit sein wird, Christian Wulff zu wählen.

Wie ereignisarm müsste die politische Lage eigentlich sein, damit die Richtlinien der Militärpolitik mehr sind als ein Tagesaufreger?

Bei der Militärpolitik kommt es im gefühlten Urteil der großen Mehrheit ja weniger auf Richtlinien an als darauf, wer die Guten sind. In den Augen der westlichen Welt ist Barack Obama ein ganz besonders Guter. Nun hat Amnesty International die USA im Verdacht, beim Kampf gegen Terroristen im Jemen kürzlich Streubomben eingesetzt zu haben. Als George W. Bush noch regierte, war eine solche Meldung allemal für eine Schlagzeile gut. Eventuell sogar für Empörung. Aber wahrscheinlich sind Streubomben weniger gefährlich, wenn sie von den Guten abgeworfen werden.

Zurück zu den Sparplänen der Nato. Veraltetes oder unzureichendes Material ist ein Sicherheitsrisiko. Gestraffte Kommandostrukturen sind das nicht. Und wenn Ausschüsse abgeschafft werden, dann verringert das häufig nur die Bedeutung von deren Vorsitzenden.

Eine wegen finanzieller Nöte reduzierte Truppenstärke erschwert es allerdings tatsächlich, Kriege zu führen. Denn die werden – anders als Technikbegeisterte in den Neunzigerjahren glaubten – nach wie vor meist am Boden gewonnen oder verloren. Weswegen es nachvollziehbar ist, dass Robert Gates, US-Verteidigungsminister unter Bush und unter Obama, vor einer solchen Entscheidung warnte.

Interessiert das in Deutschland? Eher weniger. Nächste Woche werden ja die Mitglieder der Bundesversammlung bestimmt, die den nächsten Präsidenten wählen sollen.

■  Die Autorin ist politische Korrespondentin der taz

Foto: Amélie Losier