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Archiv-Artikel

Die Tanne weint nicht

ORTSTERMIN Wie feiert es sich auf einem veganen Weihnachtsmarkt? Ein Besuch in Leipzig

Keine Glühweinsaufgruppen, kein Bratwurstfettgestank, keine kitschigen Weihnachtshits. Vom Pizzastand schallt ein wenig Techno, die vielen Anstehenden schauen sehnsüchtig in den Holzofen. Dort schmilzt veganer Käse über Gemüse.

Das Gulasch ist schon ausverkauft, Börek und die vegane Bratwurst gehen ebenso gut weg. Der Stollenbäcker verkauft auf Hochtouren und die kleinen Krapfen finden großen Absatz. Leipzigs erster veganer Weihnachtsmarkt ist am Sonnabend voll von Leuten, die es sich ordentlich schmecken lassen. Ordentlich meint hier: frei von Tierprodukten.

Außerdem kommt zumindest ein Teil des Essens aus der Umgebung. Niemand gibt sich hier lautstark mit Glühwein die Kante. Und für die Plastikbecher zahlt man – schließlich wird hier bewusst konsumiert – 1 Euro Pfand.

Kein Leid

Auch nur wenige Tannenzweige mussten leiden, um den Markt zu schmücken: Die besinnliche Dekoration hält sich in Grenzen. Der Ort ist dem Geschehen angemessen gewählt. Zu Zeiten der DDR wurden auf dem Gelände in der Leipziger Südvorstadt Konserven produziert. Heute gibt es in den schmucklosen Häusern des früheren Volkseigenen Betriebs Feinkost unter anderem einen Modeladen namens Mrs. Hippie und einen Club der Absturz heißt. Linksalternatives Territorium. Zwei Besucherinnen fragen sich, ob jemand sie wohl blöd auf ihre Lederhandtaschen ansprechen wird, während sie sich durch die Menge der Leute aus überwiegend linksalternativem Spektrum schieben. Wohl wegen dieses Publikums wirkt es so, als müsse niemand an den Infoständen erklären, was vegan ist oder warum es sinnvoll ist, kein Fleisch zu essen. Leute, die hier zum ersten Mal in ein Sojawürstchen beißen würden, fehlen. Die Überzeugten sind weitgehend unter sich.

Vielleicht ist auch deswegen die Stimmung so gemütlich. Alin vom Bündnis Leipziger Tierrechtler ist mehr verständnislose Fragen gewöhnt: „Den hohen Diskussionsaufwand, den man sonst zum Beispiel mit einem Stand in der Innenstadt erlebt, hat man hier nicht.“ Das Missionieren spielt hier heute nur eine kleine Rolle. Es soll vor allem um Genuss gehen.

Das Bündnis Leipziger Tierrechtler, das den veganen Weihnachtsmarkt organisiert, hatte sich überlegt, was es auf einem herkömmlichen Weihnachtsmarkt gibt und wie man das alles auch in Vegan machen kann. Deshalb gibt es nicht nur Infostände von den Ärzten gegen Tierversuche oder den tierbefreier*innen Leipzig, sondern vor allem viel Essen. Selbst gemachte Kürbissuppe, Buchweizenwaffeln, Plätzchen, Apple Crumble – vegan heißt nicht unbedingt, dass es auch gesund sein muss.

Und vegan zu essen, das soll ebenso gezeigt werden, bedeutet nicht unbedingt, auf etwas verzichten zu müssen. Das ist ja das Argument, das VeganerInnen oft von fleischessenden Menschen vorgetragen bekommen.

Was selbst geschneiderte Kissen zum Meditieren und Schallplatten, die bestimmt auch vegan sind, mit diesen Anliegen zu tun haben, lässt sich da schon schwieriger erklären.

Kein Nippes

Aber außer solcherlei Tand findet die geneigte Bummlerin kaum Nippes zum Verschenken. Ganz anders als auf all den neuen Weihnachtsmarktablegern, auf denen Kreative und Designer ihre Produkte verkaufen.

Die Einnahmen aus den Standgebühren gehen an den Gnadenhof Lossa, wo ausgesetzte Tiere leben. Hier geht es darum, zu zeigen, was Veganismus kann.

Als es dunkel wird, füllt sich der Kultur-und Gewerbehof Feinkost noch mehr. Einige sind extra die mehr als 100 Kilometer von Dresden bis nach Leipzig gefahren. An der Feuertonne tauschen die Leute Geschichten von Lastern mit Gelatineladung aus. Dann geht es um Kartoffelpüree mit Rotkohl.

MARION BERGERMANN, LEIPZIG