Die glücklichen Verlierer

Der krasse WM-Außenseiter Angola ist nach der knappen 0:1-Niederlage gegen den ehemaligen Kolonialherren Portugal erleichtert. Jetzt glauben sie, auch Mexiko Paroli bieten zu können

aus KÖLN DANIEL THEWELEIT

Paulo Figueiredo lief ein kalter Schauer über den Rücken, als weite Teile des Publikums „Angola, Angola“ in den Kölner Abendhimmel riefen. „Das war einer der besten Momente meines Lebens“, sagte der Angolaner nach der 0:1-Niederlage gegen Portugal.

Figueiredo hatte ein ganz besonderes Spiel erlebt, es war ein Duell gegen das Land, in dem er aufwuchs, weil seine Familie kurz nach Ausbruch des Bürgerkrieges in den 70er-Jahren nach Europa flüchtete, und sie hatten dieses größte Spiel in der angolanischen Fußballhistorie mit Würde überstanden. Der Ausbruch der Gesänge im Stadion war daher ein fantastischer Moment der Anerkennung für den vielleicht größten Außenseiter unter den WM-Teilnehmern. Ein Moment der Erleichterung war es auch, denn heimlich hatte man zwar auf ein Wunder gehofft in der westafrikanischen Heimat, konkreter war jedoch die Furcht vor drei hohen Niederlagen, die einen nur daran erinnert hätten, dass man eben zu den Verlierern dieser Welt gehört. Diese Demütigung ist dem Land erspart geblieben. Was die Angolaner zeigten, sah vielmehr lange Zeit nach Fußball aus. Nur während der ersten Minuten wurden sie förmlich überrannt – nachdem Pauleta jedoch das 1:0 gelungen war (4.), zeigten die Afrikaner das Herz eines großen Außenseiters. „Die Leute in Luanda können sich freuen über die Haltung, den Geist dieser Mannschaft, dieses Spiel ist ein Grund für die Menschen, stolz zu sein“, sagte Figueiredo.

„Orgulho“ – stolz war das von den Angolanern meist gebrauchte Wort nach der Partie, und es war angemessen wie selten. Wenn man ein neutrales Publikum, das zunächst aus Langeweile über ein wenig berauschendes Fußballspiel „Viva Colonia“ und „Kölle Alaaf“ singt, wirklich hinter sich bringt, ist das schon allerhand. Schließlich setzt sich das angolanische Team weitgehend aus Spielern unterklassiger Klubs in Europa sowie aus in Angola kickenden Akteuren zusammen. Das bekannte Publikumsphänomen, sich im Zweifel eher auf die Seite der Schwachen zu stellen, beherrschte die Stimmung im Stadion und wurde von der großen Leidenschaft der hingebungsvoll kämpfenden Angolaner stetig neu gespeist.

Weil die Portugiesen in der zweiten Halbzeit jedoch begannen, sich vorsichtig den Ball in der eigenen Hälfte hin und her zu schieben, regte sich irgendwann der Verdacht, dass der ehemalige Kolonialherr der Angolaner gar kein Interesse hegte, einen besonders hohen Sieg herauszuspielen. „Wir sind mit seriösen Gedanken in das Spiel gegangen, wir wollten keine Feindschaft haben“, sagte der Portugiese Fernando Meira vom VfB Stuttgart auf die Frage nach der Brisanz des Duells. Vor vier Jahren gab es einmal diese böse Partie, die abgebrochen werden musste, weil die Angolaner rüde getreten hatten, woraufhin gewalttätige Zuschauerausschreitungen ausbrachen. „Jetzt war es ganz anders, Angola war stärker“, meinte Meira. Man konnte aber auch den Eindruck gewinnen, so etwas wie ein portugiesisches Gewissen wehe durch das Stadion. Nach 400 Jahren bisweilen blutiger Unterdrückung wollte man den Afrikanern ein wenig Würde schenken.

Der angolanische Trainer Luis Oliveira Goncalves fand diesen Gedanken verständlicherweise wenig attraktiv. „Ich glaube nicht, dass Portugal schlecht gespielt hat, vielmehr waren wir einfach gut“, sagte er. Goncalves ist noch von einer guten Chance auf das Erreichen des Achtelfinales überzeugt. „Wir werden genauso gut gegen Mexiko spielen, wir werden sie angreifen“, sagte der Trainer. Er wirkte überglücklich, umarmte voller Überschwang angolanische Journalisten, selten bietet ein Verlierer ein solch sonniges Bild. Sie feierten die Ankunft Angolas bei dieser Weltmeisterschaft.

Zwar bleibt der WM-Debütant weiter ein Teilnehmer, dem wenig zuzutrauen ist, dafür aber ist Angola nach dieser Partie ein Kandidat auf den Titel des liebenswertesten Außenseiters. Nach den ersten WM-Tagen sind Togos Chancen auf diese Meisterschaft der Herzen gesunken, während Trinidad und Tobago noch ein wenig die Nase vorne hat nach dem hingebungsvollen Kampf gegen Schweden, aber mindestes zwei Spiele sind den Afrikanern ja noch sicher. Da ist noch eine Menge drin.