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Archiv-Artikel

GOTHICMENSCHEN, LAUTENSPIELER, ROTE-BEETE-CHIPS, VAMPIRE, CURRYWURST UND ROCK ’N’ ROLL Jim Jarmusch schwingt seine Gitarre im Tresor

VON TIM CASPAR BOEHME

Stil und Inszenierung sind manchmal alles. Mitunter auch völlig ausreichend, um ein ausgedehntes Abendprogramm zu tragen. Und wenn Regisseur Jim Jarmusch eigens nach Berlin reist, um seinen neuesten Streifen, den Vampirfilm „Only Lovers Left Alive“, vorzustellen, kann man sichergehen, dass er seinem Publikum mehr als bloß eine solide Vorführung liefert. Mit dem Kino International – zu DDR-Zeiten als Premierenkino genutzt – hatte er den passenden Ort gewählt. Das allein genügte im Grunde, um sich auf Donnerstagabend zu freuen.

Drinnen fielen die zahlreichen Gothic-Anhänger auf, die mit ihrem bleichen Teint und den schwarzen Gewändern auch etwas Vampiristisches haben. Der Aufforderung, mit Sonnenbrillen und Handschuhen zu erscheinen, wie es bei den Blutsaugern im Film üblich ist, wurde aber nicht so recht gefolgt, dunkle Brillengläser blieben jedenfalls die große Ausnahme.

Um mich auf das Thema einzustimmen, schienen mir die trockenblutartigen Rote-Beete-Chips, die es am Tresen gab, genau richtig. Schmeckten sogar ganz gut, wenn man sich nicht daran störte, dass sie statt salzig leicht süß waren. Kleine Enttäuschung: Das seltsame Knabberzeug war gar kein Gimmick, der extra für den Abend ausgesucht wurde, sondern gehörte ins reguläre Sortiment des International, wie mir der Barmann versicherte.

Vor den Türen zum Kinosaal gab es dann so großes Gedränge, dass drinnen, obwohl wir ziemlich weit vorne in der Traube gewartet hatten, fast schon alle Plätze belegt waren. Dafür konnte ich Jim Jarmusch von sehr nah betrachten, wie er in für ihn typischer Großer-Junge-Manier ein paar Dankesworte und bewundernde Worte über Berlin sagte, für die er sich dann gleich entschuldigte, weil er ja nicht „wie eine Nutte“ klingen wolle. Der Film machte viel Spaß, gesehen hatte ich ihn zwar schon, aber mit kleinerer Leinwand und ohne Jarmusch im Saal.

Außer ihm waren vermutlich noch sämtliche Musiker im Kino, die beim Soundtrack mitgemacht hatten – unter anderem Jarmuschs Band Sqürl. Denn die Bands sollten später, im zweiten Teil des Abends, im Tresor aufspielen. Jetzt hatten sie sich unauffällig unter das Publikum gemischt, wie die libanesische Sängerin Yasmine Hamdan, die zuvor mit den anderen Besuchern geduldig in der Schlange ausgeharrt hatte, um zu ihrem Platz zu kommen.

Bevor es weiter in den Tresor ging, gab es den einzigen – selbstverschuldeten – Stilbruch: Die Currywurst von der Bude neben dem Tresor war leider nicht so erbaulich, auch wenn die Soße zehnmal hausgemacht gewesen sein mag. Die Reste auf der Pappe konnte ich dann immerhin wie halbgeronnenes Blut vor mir hertragen. Was gar nicht nötig gewesen wäre. Neben dem Eingang zum Tresor wurde einem ein „Taste of Blood“ verabreicht, Glühwein, zwar aus kleinen Plastikbechern statt aus den edlen Likörgläsern, wie sie im Film bei der Nahrungsaufnahme der Bluttrinker zum Einsatz kommen, dafür half die Temperatur gegen die Kälte draußen.

Geduld ist gefragt

Auch der Tresor war gut gefüllt, wieder kaum Sonnenbrillenträger, dafür jede Menge erwartungsvoll vor der Bühne aufgebaute Fans. Die dann geduldig das Lautenspiel des Soundtrack-Komponisten Jozef van Wissem ertrugen. Oder auch nicht: An der Bar in der hinteren Ecke des Raums konnte man die leisen und nicht immer ganz treffsicheren Töne nicht hören.

Auch hier stimmte eigentlich alles: Im Keller des Tresors verkaufte man die Marketingartikel zwischen Kerzen und Bücherstapeln, die stark an die Filmgemächer der Vampirfrau Eva (toll: Tilda Swinton) erinnerten. Und nach der Einschlafmusik van Wissems kam der deutlich energischere Space Rock der White Hills gerade rechtzeitig, um zu verhindern, dass jemand vor dem Auftritt von Sqürl – als später krönender Abschluss gedacht – das Weite suchte. Am beeindruckendsten war dennoch Yasmine Hamdan, die im Vergleich zu Jarmusch definitiv die bessere Sängerin ist. Trotzdem ein schöner Abschluss mit einem gitarreschwingenden Jarmusch, der mindestens genauso glücklich gewesen sein dürfte wie seine Fans, mit Sqürl eine Art Velvet-Underground-Hommage zu bieten. Wie meinte doch einer der Zuhörer im Publikum, seines Zeichens professioneller Musiker: „Rock ist immer Lautstärke und Inszenierung.“