: Noch ist Barsinghausen nicht verloren
WM-Camp, Freundschaftsfest, polnische Flaggen: Die kleine Stadt im Deister hat alles getan, um ein guter Gastgeber für die polnische Fußball-Nationalmannschaft zu sein. Aber die Kicker aus dem Nachbarland wollten nicht so recht mitziehen. Jetzt wird ohne Polen gefeiert
„Schlimmstenfalls“, sagt Axel Heyerhorst, „verlieren die Polen gegen Deutschland und Costa Rica gegen Ecuador.“ Wenn dieses Worst-Case-Szenario eintritt, kann der WM-Koordinator von Barsinghausen wohl endgültig einpacken. An Barsinghausen hat es wohl kaum gelegen. Derzeit ist die kleine Stadt im lieblich-hügeligen Deister „Fifa WM-Quartier“ – wie 31 andere Städte. Natürlich hat der 18.000 Einwohner zählende Ort alles getan, um ein guter Gastgeber für die polnische Nationalmannschaft zu sein. Aber die Kicker, die im Barsinghausener Sporthotel Fuchsbachtal residieren, wollten nicht so recht mitziehen. Am S-Bahnhof und in der schmucken Fußgängerzone wehen rot-weiße polnische Flaggen und Wimpel aller WM-Teilnehmer, das Fremdenverkehrsamt hat eine polnische Dolmetscherin beschäftigt. Im Rathaus gibt es eine Ausstellung mit Fotos aus dem Nachbarland, ein deutsch-polnisches Wirtschaftsforum ist geplant.
Heute lädt die CDU zum „Freundschaftsfest“ mit dem Feuerwehrmusikzug Golten, dem Shanty-Chor Barsinghausen und „Kaffee und Kuchen durch die Frauen-Union“. 13.000 Euro hat die Stadt in den Welt-Event gesteckt. Die Polen haben sich bislang nicht gerade revanchiert. Wenn die Mannschaft des höchst umstrittenen Trainers Pawel Janas heute im Spiel gegen Deutschland verliert, kann sie das WM-Turnier schon nach knapp einer Woche quasi abhaken. „Für Polen ist es fünf vor zwölf“, sagt Jürgen Klinsmann.
„Beim Training der Spanier habe ich ohne Probleme ein Autogramm von Raúl bekommen“, sagt Bogdan Wotowczyk. Gerade ist der Inhaber eines Sportgeschäfts in Stettin nach 15 Minuten Training aus dem August-Wenzel-Stadion in Barsinghausen geschmissen worden. Es war nicht das erste Mal. Gipfel der polnischen Geheimniskrämerei war die Absage eines seit Wochen geplanten öffentlichen Testspiels gegen eine Regionalauswahl von Salzgitter – 24 Stunden im Voraus. Polnischen TV-Sendern, die das Match live übertragen wollten, gingen Werbeeinnahmen in Millionenhöhe verloren. Seit Ende Mai igeln sich die Polen in der Stadt 30 Kilometer südwestlich von Hannover ein. Zum ersten Training waren noch 3.000 Fans ins ausverkaufte Stadion gekommen. Während Brasiliens Ronaldo aber gleich nach seiner Ankunft in Königstein im Taunus erst mal in die Disko fuhr, haben sie in der einstigen Bergbaustadt ansonsten fast nur den von der Polizei eskortierten Mannschaftsbus mit der Aufschrift „White, red, dangerous and brave“ gesehen. Als der Bus an diesem Montag nach dem hermetisch abgeriegelten Rest-Training abrauscht, trennen Fans und Spieler wieder dicke Gitterstäbe, es gibt nur wenige Autogramme einiger Spieler. Vielleicht 20 rot-weiße Unentwegte rufen: „Polska, Polska, Polska“. Und: „Gebt alles! Wir lachen euch nicht aus!“ Wotowczyk sieht schwarz für das Spiel gegen die Deutschen. Dennoch sagt er: „Wenn wir gewinnen, gibt es für alle in Barsinghausen eine Runde Wodka.“
Auch für diesen Fall wäre der Arbeiter-Samariter-Bund (ASB) sicher gut gerüstet. „Wir sind erfahren in der Bewältigung von Katastrophen“, sagt Sascha Sell. Zuletzt halfen die ASB-Leute bei der Flut in Rumänien, jetzt haben sie beim Bahnhof mit deutscher Gründlichkeit eine funkelnagelneue Zeltstadt mit Schlafplätzen für 500 polnische Fans hergerichtet. Eine Übernachtung mit Frühstück kostet 15 Euro, es gibt eine Hüpfburg, ein Catering-Service bietet den Gästen polnisches Sauerkraut und Kraukauer Würstchen, polnisches Tyskie-Bier wird serviert, es gibt sogar polnische Zeitungen. Jeden Abend spielen Live-Bands bei der „größten WM-Party am Deister“. Die Kosten lägen „im sechsstelligen Euro-Bereich“, sagt Sell, der ASB habe sogar im polnischen Radio Werbung gemacht. Trotzdem sind kaum Gäste da. Die Übertragung des Deutschland-Spiels war gut besucht – aber von Leuten aus dem Umland. Am Wochenende kamen immerhin hundert, an diesem Montag zelten nur noch 20 Polen im Barsinghausener WM-Camp. Aber man konnte es ja nicht wissen: „Wenn die polnische Mannschaft etwas offener gewesen wäre, hätten die 30 Zelte vielleicht nicht gereicht“, sagt Sell.
„Die Stimmung in der Mannschaft ist gut“, sagt Stürmer-Star Ebi Smolarek auf einer Pressekonferenz im Zechensaal im Bergbaumuseum. Die polnischen Kollegen gehen offenbar hart mit Trainer Janas ins Gericht. Der zuckt oft mit den Schultern, hebt beschwörend die Hände in die Luft und deutet auf Smolarek, als ob der die Deutschen alleinbesiegen könnte. Der hagere Stürmer von Borussia Dortmund sagt, er sehe noch Chancen. Polnische Zeitungen schreiben am nächsten Tag von der „Mädchen-Mannschaft“ um Trainer Janas.
„Wir hatten Anfragen von überall her“, erzählt WM-Koordinator Heyerhorst. „Aber wir konnten ja niemandem versprechen, dass die Besucher die Mannschaft zu Gesicht bekommen.“ Das war vielleicht auch besser so. Immerhin haben wohl vor allem polnische Reporter 2.000 Übernachtungen in Barsinghausen gebucht. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass die städtische Hotellerie 600 Betten zur Verfügung hat. Noch ist Barsinghausen nicht verloren. Wahrscheinlich werden sie die WM-Sause aber bald ganz ohne Gäste feiern müssen.Kai Schöneberg