: Medienanstalt unter Beschuss
Zu wenig Geld, weniger Mitarbeiter, kaum Kompetenzen, falscher Standort: Die gestern in Kiel und Hamburg beschlossene Medienanstalt Nord hat viele Schwachpunkte und noch mehr Gegner
Von Esther Geislinger und Marco Carini
Es passiert selten, dass Gewerkschafter und Handelskammer einer Meinung sind. Doch der gestern in Kiel von den Kabinetten Schleswig-Holsteins und Hamburgsverabschiedete Staatsvertrag, der die Einrichtung einer gemeinsamen Medienanstalt Nord zum 1. März 2007 festschreibt, trifft auf eine breite Koalition der Kritik. Die lautet: Die neue Medienanstalt werde auf das Format einer Rumpfanstalt zusammengestutzt, wichtiger Kompetenzen beraubt und finanziell in eine ungewisse Zukunft entlassen.
Carstensens gestriger Zusage, durch die Fusion der beiden bisherigen Landesmedienanstalten werde es keine Entlassungen geben, schenken die Gewerkschaften wenig Glauben. „Die gemeinsame Medienanstalt wird sogar weniger Mitarbeiter haben, als die bisherige schleswig-holsteinische Anstalt“, klagt der Sprecher des DGB-Nord, Alfons Grundheber-Pilgram.
Auch über die zukünftige Finanzausstattung der Medienanstalt Nord gibt es widersprüchliche Aussagen. Während beide Regierungschefs gestern betonten, der neuen Medienanstalt würde mehr Geld zur Verfügung stehen, als die Summe dessen, was die bisherigen Länderanstalten verbrauchten, kommt der DGB-Sprecher zu dem Ergebnis: „Es stehen weniger Mittel bereit“.
Zudem würde die Zwei-Länder-Anstalt wichtige Kompetenzen abgeben. So verliert sie die Zuständigkeit für den Offenen Kanal in Schleswig-Holstein, einem Markenzeichen der bisherigen Aufsichts-Arbeit der Kieler Medienanstalt. Das erklärte Ziel, die Medienanstalten durch Fusion zu stärken und im Wettbewerb mit den großen deutschen Medienstandorten zum „Big Player“ zu machen, könnte bei solchen Vorgaben „nicht erreicht werden“, klagt der DGB-Sprecher.
Auch der medienpolitische Sprecher der Hamburger SPD, Uwe Grund, sieht in der neuen Einrichtung allenfalls eine „Medienanstalt light“, die deutlich weniger Standort-Engagement zeigen könnte, als die bisherigen Anstalten. Grund beklagt, dass der Hamburger Anstalt für Neue Medien (HAM) spätestens mit der Zerschlagung des Offenen Kanals in Hamburg „viele Handlungsmöglichkeiten entzogen“ wurden. Nun werde dieser Weg im gesamten Norden fortgesetzt.
Wulf Beleites von der Deutschen Journalisten Union (DJU) in Hamburg wird da noch konkreter: Die HAM sei vom Hamburger Senat bereits in den vergangenen Jahren komplett „entmachtet“ und unter Regierungs-Einfluss gebracht worden. So wird ihr Vorstand seit 2003 nicht mehr auf Vorschlag gesellschaftlich relevanter Gruppen wie Kirchen, Kammern und Gewerkschaften pluralistisch zusammengesetzt, sondern von der CDU-dominierten Bürgerschaft direkt gewählt.
Auch Mindestwortanteil und Info-Auftrag im Privat-Rundfunk wurden durch das Hamburger Mediengesetz gekippt, das die CDU als besonders „wirtschaftsfreundlich“ anpreist. „Da diese Regelungen auf die neue Medienanstalt übertragen werden, wird sie unter stärkerem politischen Einfluß stehen und der weiteren Kommerzialisierung der Programme Tür und Tor öffnen“, befürchtet Beleites.
Kritik an der Ausgestaltung der Medienanstalt Nord gibt es auch in Kiel. So fürchtet der grüne Landtagsabgeordnete Karl-Martin Henschel um die Qualitätsstandards, die das schleswig-holsteinische Medienrecht bisher für privaten Rundfunk festschrieb. Das Gesetz sei deshalb „ein Schritt in Richtung Berlusconisierung der Medienlandschaft“ des Nord-Bundeslandes.
Selbst der Koalitionspartner SPD krittelt an dem Gesetz herum. Die Zustimmung des Kieler Landtags zu dem Staatsvertrag sei „kein Automatismus“, murrt der SPD-Medienexperte Peter Eichstädt. Der Abgeordnete kritisiert vor allem, dass Norderstedt als zukünftiger Sitz der Anstalt „nicht in schleswig-holsteinischem Interesse“ und damit ein „fauler Kompromiss“ sei.
Mit den gleichen Worten kritisiert – nur eben aus Hamburger Perspektive – die Handelskammer der Hansestadt Wahl des Standorts: „Norderstedt ist nun mal kein Medienstandort“, klagt Kammersprecher Jörn Arfs, der die Anstalt lieber mitten in Hamburg statt in der Hamburger Randgemeinde auf schleswig-holsteinischem Terrain gesehen hätte.