Flirt mit großen Pinselstrichen

Die Filmreihe „Die Kunst des Dokuments – Schaffende Hände“ im Zeughauskino ist dem Wie, Weshalb, Warum der Kunst auf der Spur. Mit Porträts über Max Ernst, Andy Goldsworthy und den Körpereinsatz von Jackson Pollock

Der Mythos des Künstlers rührt zum großen Teil von der Isolation während des Arbeitsprozesses. Deshalb wird sie gesucht, die Künstlerfigur zum Anfassen. Was denkt sie, wie lebt sie, und vor allem: Wie arbeitet sie? Das Medium Film eignet sich in besonderem Maße, den Künstler beim Arbeiten zu beobachten. Das Zeughauskino nimmt sich bis Ende Juni unter dem Titel „Die Kunst des Dokuments – Schaffende Hände“ dieser Thematik an.

Ein besonders eindrucksvolles Beispiel einer gelungenen Kooperation zwischen Künstler und Regisseur ist „Le mystère Picasso“ von Henri-Georges Clouzot (1956), der die Reihe eröffnete. Picasso erklärte sich bereit, im Sommer 1955 sein Atelier für das Filmteam zu öffnen. Die Kamera ruht die meiste Zeit auf einer milchig-transparenten Folie, auf deren Rückseite Picasso seine Motive malt. So kann man die Spuren des Pinselstrichs verfolgen, ohne von der Motorik der Hand und des Körpers abgelenkt zu werden. Der Fokus des Films liegt auf dem Bildaufbau. Dabei offenbart die Kamera in Echtzeit das große Abstraktionsvermögen Picassos und seine enorme Fantasie. Scheinbar willkürlich werden Tupfer gesetzt und durch Linien verbunden. Picasso spielt mit dem Zuschauer, indem er ihn immer wieder auf eine falsche Fährte lockt und aus einem gerade erkannten Motiv ein völlig anderes entwickelt.

Mit „Max Ernst – Mein Vagabundieren, meine Unruhe“ (1991) gelingt es Peter Schamoni, Spuren aus Ernsts Leben in dessen surrealen Bildern sichtbar zu machen. Eine Montage aus O-Tönen, in denen Max Ernst über sein Leben Auskunft gibt, und Überblendungen zwischen den Landschaften seiner Wohnorte im Ardechetal oder in Arizona und seinen Gemälden verdeutlichen, wie die Umgebungen seine Bildkompositionen beeinflussten. Die einfühlsame Vermittlung des Films tröstet über unnötige Reenactmentansätze hinweg.

Von Max Ernst, der für sich in Anspruch nahm, Jackson Pollock auf die Dripping-Technik aufmerksam gemacht zu haben, schlägt das Filmprogramm eine Brücke zu den 50er- und 60er-Jahren der Kunstszene New Yorks. Hans Namuth und Paul Falkenberg zeigen in ihrem kurzen Film „Jackson Pollock“ (1951), wie berechtigt der Terminus „Action Painting“ für den starken Körpereinsatz Pollocks beim Akt des Farbauftrags ist.

Eine eigenständige Poesie entwickelte der Filmemacher Thomas Riedelsheimer in „Rivers and Tides“ (2001), einem Porträt von Andy Goldsworthy. Über eine längere Zeit begleitete er den Künstler bei dessen Interventionen in der Natur. Goldsworthy ist der Tradition der Land Art verpflichtet, er schafft für kurze Augenblicke ein ästhetisches Bild, dessen sich die Natur sofort im ewigen Prozess von Entstehen und Vergehen bemächtigt. Es bleibt nur der kurze Eindruck und Foto- oder Filmdokumentationen. Einige seiner Bemühungen sind vergeblich – die Installationen aus Eis, Schnee, Steinen, Gras und Schatten werden durch die Natur zerstört, noch ehe sie fertig gestellt sind. Riedelsheimer fängt dieses ständige Herausfordern der Vergänglichkeit in beeindruckenden Bildern ein, begleitet von der betörenden Musik Fred Friths.

Leider fehlt in dem Filmprogramm Edith Juds Film „Dieter Roth“ (2003) über den 1998 verstorbenen Fluxuskünstler Dieter Roth. Denn Roths Werk aus Literatur, Assemblagen, Aktionen und Installationen steht repräsentativ für eine Dehnung des Kunstbegriffs, zu der sich jeder zeitgenössische Künstler heute verhalten muss. Die Bindung an ein Medium oder eine Technik tritt zugunsten der Intermedialität in den Hintergrund. Das Überschreiten von Genregrenzen, die Nutzung verschiedener Medien für ein Werk, die fließenden Übergänge zwischen Konzert, Performance, Aktion und Installation, Literatur und Assemblage – das machte Fluxus aus. Und gerade die Inter- beziehungsweise Multimedialität, die Fluxuskünstler wie Roth praktizierten, lässt sich umso besser verstehen, je mehr man vom Arbeitsprozess weiß.

MATTHIAS REICHELT

15. 6., 19 Uhr, Peter Schamoni: „Max Ernst – Mein Vagabundieren, meine Unruhe“; das weitere Programm unter www.dhm.de/kino/index.html