: „Ich hab’s nur krachen gehört“
Adolf Katzenmeier hat rechtzeitig vor dem heutigen Spiel gegen Polen die Wade der Nation auf Vordermann palpiert
taz: Herr Katzenmeier, seit 1963 sind Sie Masseur des DFB-Teams. Zeigen Sie mal Ihre Hände her. Sind da Verschleißerscheinungen zu sehen?
Adolf Katzenmeier: Ich habe diese Verdickung an der Sehne am rechten kleinen Finger. Beim Kneten entsteht ja ein enormer Druck. Die Sache könnte man operieren. Muss aber nicht sein.
Ist das eine Berufskrankheit?
Ja, andere Kollegen haben das auch. Ich hätte mir auch fast mal den einen Finger gebrochen.
Beim Massieren?
Nein, ich bin aus der Badewanne gesprungen, der DFB hatte mal wieder angerufen. Horst R. Schmidt – das ist einer der Höchsten da, der Generalsekretär. Ich also raus und um die Ecke rum und bleib genau im Schloss hängen. Ich hab’s nur krachen gehört.
Sie werden also andauernd von hohen Funktionären gerufen?
Ich lebe ja in Frankfurt. Wenn eine DFB-Sitzung ist und irgendeiner mal einen steifen Nacken hat, komme ich auch zum Zug. Ich bin mit meiner Physiopraxis direkt beim DFB drin, in der DFB-Zentrale. „Können Sie mal gucken, da hat sich der oder der Sitzungsteilnehmer wehgetan“ oder „Der hat Schmerzen im Kreuz“, heißt es dann.
Sie sind nicht nur die heilende Hand für die Nationalspieler, sondern für den gesamten DFB?
Ja, das war schon bei Herrn Neuberger [Hermann Neuberger, 1975–1992 Präsident des DFB; d. Red.] so, den ich auch immer mal massiert habe.
Massieren ist Ihr Leben?
Vor allem knete ich gern. Ich stelle die Knettechnik in den Vordergrund.
Und den Rest macht der Doc?
Bei uns herrschen klare Absprachen. Das Sagen haben Doktor Müller-Wohlfarth und auch Josef Schmitt, der Orthopäde.
So lief es auch bei der Wade der Nation?
Eine Wadenverletzung ist immer besonders schwierig. Ein Gefäß kann nämlich in der Tiefe platzen. Ich habe ja keinen Einblick in den Muskel, außer er ist außen blau. Ich hätte dann die Möglichkeit zu palpieren.
Palpieren?
Palpieren ist Abtasten mit den Fingern. Und was mir die Finger melden, das setze ich dann um. Ein Bluterguss kann sich nach zwei Seiten ausbreiten, und dort kann es auch motorische Nerven treffen. Die Blutung sackt nach dem Gesetz der Schwere dem Muskel- und Sehnenverlauf entsprechend ab, an die Seiten, in die Tiefe. Dann kommt es zu Verhärtungen und zu Irritationen.
Wann rufen Sie den Doc?
Wenn ein Faserriss da ist oder eine Verhärtung im Gewebe oder irgendetwas, das da anatomisch nicht hingehört.
Das erspüren Sie sofort?
Mein Wundermittel sind die Hände. Ich frage mich: Was sagt das Gewebe? Was melden mir die Finger? Was kann ich umsetzen? Muss ich den Mull [Spitzname von Müller-Wohlfahrt; d. Red.] rufen? Wenn die Wade zum Beispiel knallhart ist, dann muss ich die Ärzte rufen, es kann ja auch eine versteckte Thrombose sein. Mull lässt nichts anbrennen.
Sie sind also in einer wichtigen Position.
Ich bin ein Rad in der Kette.
Und wie dreht sich das Rad?
Ich habe es immer so gehalten – ist ja meine siebte WM –, dass ich mir in der Vorbereitungsphase jeden Spieler eine gute Stunde vorgenommen habe, im Trainingslager, in aller Ruhe. Ich mache eine Entlastungsmassage, so nenne ich das. Wo ist eine Verhärtung? Wo könnte eine Verletzungsbereitschaft sein? Und jetzt kommt der Clou.
Der Clou?
Wenn ich eine V-Bereitschaft finde, dann behandele ich die mit. Ziehe sofort prophylaktisch die Massage an. Wie ein Magnet ziehen meine Hände die V-Bereitschaft an. Wenn dann ein Spieler nach ein paar Tagen kommt, weiß ich sofort, aha, da war das. Ich habe das oben in meinem Kämmerlein abgelegt. Ich brauche mir das nicht aufzuschreiben, ich lege die Hand drauf und weiß sofort, da war was.
Sie brauchen keinen Computer?
Ich habe den Computer im Kopf.
Sie bekommen viel mit am Massagetisch. Haben Sie dadurch die Ohren an der Mannschaft?
Ich hören vieles, aber ich habe zwei Ohren, die reine Durchgangsohren sind. Ich habe mir in der Beziehung nie was zuschulden kommen lassen. Das gibt es bei mir nicht.
Herr Katzenmeier, wird ein weich geknetetes Deutschland Weltmeister?
Jürgen Klinsmann ist jemand, der seine Linie konsequent durchzieht, das finde ich gut. Und jetzt werden wir mal sehen, was im Turnierverlauf passiert. Wir hoffen auf den Titel, aber verlangen können wir ihn nicht.
INTERVIEW: MARKUS VÖLKER