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Brasilien nutzt die WM zur kulturellen Selbstdarstellung. In Berlin gab Gilberto Gil, Kulturminister und Pop-Legende, beim Freikonzert den Party-Einheizer
Von DANIEL BAX
Viele Politiker suchen die Nähe zur Popkultur. Doch nur Brasilien kann mit einer gestandenen Pop-Legende als Kulturminister aufwarten, seit Gilberto Gil dort vor knapp vier Jahren ins Kabinett berufen wurde. Was er dort so macht, ist hierzulande kaum bekannt. Aber im Ausland schlägt ihm als ersten Botschafter brasilianischer Popkultur allseits große Aufmerksamkeit entgegen, die er im Dienste der Sache zu nutzen versteht.
Die Fußball-WM in Deutschland dient Brasilien nun als willkommene Bühne zur kulturellen Selbstdarstellung, und mit dem Festival „Copa da Cultura“ im Berliner Haus der Kulturen der Welt setzt sich das Land derzeit gekonnt als Kulturnation in Szene. Schon im Winter war Gilberto Gil zur Pressekonferenz angereist und hatte mit seinem weitaus weniger glamourösen Amtskollegen Bernd Neumann publicityträchtig Fußballtrikots ausgetauscht. Zur Eröffnung der Konzertreihe kehrte er Ende Mai zurück, doch weil bei seinem Auftritt im Auditorium des Hauses ganze Hundertschaften vor der Tür geblieben waren, gab es am Montag ein Zusatzkonzert, gratis und unter freiem Himmel. Dazu war eigens der Teich vor dem Haus der Kulturen der Welt trocken gelegt worden, um darauf eine riesige Open-Air-Bühne zu platzieren. Der Aufwand zahlte sich aus, denn mehr als 8.000 Menschen, die Mehrheit in brasilianischen Trikots und Farben geschmückt, fanden schließlich den Weg auf das Gelände.
Dort präsentierte sich der Minister, die ergraute Rastafrisur zum hüpfenden Pferdeschwanz gebunden, in Begleitung weiblicher Sangeskollegen wie Margarethe Menezes und Sandra de Sá. Der alte Herr ließ den beiden Damen über weite Strecken des Abends den Vortritt und kehrte erst zum großen Finale wieder auf die Bühne zurück. So unterhielt Sandra de Sa das Publikum mit Rap-Einlagen, während die etwas rockiger gestimmte Margareth Menezes mit ihrer souligen Stimme beeindruckte. Die „Margarätschi“-Rufe überstimmten denn auch bald diejenigen nach „Jiuberto Jiu“.
Als Musiker führte Gil in den Sechzigerjahren den musikalischen Aufbruch der Tropicalia-Bewegung an, die Samba-Rhythmen mit elektrischen Rock-Gitarren und Pop-Melodien fusionierte, und eigentlich gilt er als Meister feinsinniger Songwriter-Kunst. Doch in Berlin verlegte er sich eher auf die Rolle des Party-Einheizers und gab eine Art „Best of Brasil“-Medley zum Besten, in das auch Hits anderer Autoren einflossen. Immerhin verzichtete er darauf, mehr als zwei Gassenhauer von Bob Marley zu spielen – der Reggae-Ikone hatte Gil vor ein paar Jahren mit einem Tribute-Album gehuldigt.
Die vielen Brasilianer im Publikum konnten aber auch fast jede Zeile der großen Gil-Songs mitsingen. Und für die anderen Zuhörer fielen noch genug „O-u-Oh“ und „O-o-o-oh“-Refrains ab, um mühelos in den Chor einzustimmen. Subtiles Kunsthandwerk war das vielleicht nicht, aber effektiv zur Steigerung der Feierlaune. Der Fußball wurde damit erfolgreich zur Nebensache degradiert: Das Spiel der Tschechen gegen die USA, das zeitgleich im Foyer gezeigt wurde, mochte kaum jemand sehen. So endete der Abend im Caipirinha-Rausch und mit Hochrufen auf die „Selecao“. Gilbero Gil aber entschwand: Schließlich musste er noch zu einem Empfang in die brasilianischen Botschaft, wo er sich mit Volker Schlöndorff fotografieren ließ.
Im Herbst wird sich Brasilien dann bei der „Popkomm“-Musikmesse präsentieren, natürlich wieder mit Gilberto Gil vorneweg. Wenn das Land bis dahin wieder Fußballweltmeister geworden sein sollte, dürfte der musikalischen Welteroberung nicht mehr viel im Wege stehen.