: Die Kunst der Improvisation
POLNISCHE KUNST Eine Ausstellung in der Kieler Stadtgalerie zeigt auf vergnügliche Weise, wie sich die Notwendigkeiten des Alltagslebens in der Gegenwartskunst aus Polen niederschlagen
Ob Julita Wójcik einst im Handarbeitsunterricht besonders emsig war? Jedenfalls erstreckt sich ihre Häkelarbeit „Falowiec-Wohnblock“ über mehrere Tische, acht Meter lang und gut einen Meter hoch. In beeindruckender Verdichtung gibt sie den größten Wohnblock der Gdansker Vorstadt Przymorze in gehäkelter Form wieder und kommentiert ihn, im Maßstab 1:200, gefertigt aus zehn Kilo Wolle. Wójciks Replik auf Wohnbauten zwischen dem Anspruch, gesellschaftliche Utopie lebbar zu machen, und dem schlichten Auftrag, möglichst schnell vielen Menschen ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, ist ein wunderbares Angebot, sich in die aktuelle Ausstellung der Kieler Stadtgalerie hineinzufinden: „Polnische Kunst heute – Die kleine Improvisation“. Sie ist eine Begegnung mit der Fähigkeit zum Improvisieren, die die Polen unter den verschiedensten politischen Verhältnissen eingeübt haben.
Dabei kreisen viele Beiträge um den Umgang mit den ganz fassbaren gesellschaftliche Brüchen, die sich auftaten, als die kommunistische Nomenklatur ihre Sachen einpacken musste und eine Zeit begann, die man heute allgemein ‚Wende‘ nennt. Davon erzählen etwa die Fotografien von Konrad Pustola, der sich auf dem Lande abseits der einst streng geplanten Wohnsiedlungen von Warschau oder Gdansk umgeschaut hat: Angefeuert von den Versprechungen der neuen Marktwirtschaft begannen Ende der 90er Jahre viele Polen aus der Mittelschicht, irgendwo in der Pampa Häuser zu bauen, um ihrem Traum von einem besseren Leben auch Unterschlupf gewähren zu können. Doch so, wie am Anfang nicht jede Geschäftsidee dauerhaft zündete, ging bald vielen Bauherren das Geld aus. Nun stehen die Lebensträume mit Brettern vernagelt vernachlässigt in der Gegend herum und warten auf bessere Zeiten.
Wo hier das Prinzip der Improvisation an eine Grenze gekommen zu sein scheint, dokumentiert es seine ungebrochene Kraft in der seriellen Fotoarbeit von Lukasz Skapski: Dieser hat sich in „Maschinen, Vorkarpaten“ in ebenjenes Hügelland begeben und dort Menschen kennen gelernt, die es vermochten, in den Jahrzehnten realsozialistischer Mangelwirtschaft sich eigene Traktoren und Landmaschinen zu bauen – indem sie die verschiedensten Mopeds, Motorräder, Kipplader oder Anhänger munter miteinander kombinierten. Nun hängen diese gänzlich individuellen Gefährte nach Richtung des Vorderrades geordnet beieinander und berichten vom Stolz ihrer Besitzer: Mal sitzen diese im fleckigen Overall hinter dem Lenker, mal in der besseren, beigen Windjacke; die Füße stecken mal in wuchtigen Gummistiefeln, mal in Plastiksandaletten, wie der Feierabendbauer sie sich nach Feierabend überstreift. Und stets ist da die Freude daran zu entdecken, dass man trotz offenkundigen Materialmangels nicht klein beigegeben, sondern auf Können und Phantasie gesetzt hat.
Noch ganz andere Welten treffen bei Alicja Karska und Aleksandra Went aufeinander: Das Künstlerpaar lässt in seiner Videoarbeit „Spatial Planning and Organisation“ adrett gekleidete Zimmermädchen mit Schürze und Häubchen in einer Hotelruine am Strand nahe Gdansk Gepäck die Stufen hinauf- und hinabtragen und Betten beziehen, während mittendrin mürrisch wirkende Bauarbeiter gemächlichen Schrittes die Stahlkonstruktionen wieder auseinanderschweißen. Untermalt ist diese Performance fürs Weitermachen trotz Abbau durch ineinander fließende Pop-Rhythmen, die sich auf die Dauer mit einzelnen Klängen aus einer benachbarten Filmkabine von Adam Witkowski mischen: Dessen Arbeit „100 Kilo Kartoffeln für Schlagzeug“ ist Polens Beitrag zum wachsenden Fundus der Food Music. Witkowski lässt mal Kartoffel für Kartoffel zärtlich auf die Membranen plumpsen, mal schüttet er mit Schwung ganze Säcke aus.FRANK KEIL
bis 29. 8., Stadtgalerie Kiel, Andreas-Gayk-Straße 31