Der Stoff, der die Gewalt tarnt

SKULPTURALES DENKEN Wie aus Stoff und Metall, Zug und Druck ein komplexes Bild gesellschaftlicher Psychosen entsteht: Die Ausstellung „No Go – The Exorcist Revisited“ von Bettina Allamoda in der Galerie September

Die Kunst von Bettina Allamoda ist für Biennalen eben schon viel zu gut

VON BRIGITTE WERNEBURG

Für ihre zweite Einzelausstellung in der Galerie September greift Bettina Allamoda auf eine Meldung aus dem Internet zurück: 2004 machte der Captain der US-Armee, Nik Gurander, eine eher zufällige Entdeckung. Er war mit einer Gruppe von Soldaten abgestellt, eine archäologische Fundstätte im irakischen Hatra zu bewachen. Während seines Dienstes sah er sich in seinem DVD-Player „Der Exorzist“ an und stellte überrascht fest, dass er sich genau an dem Originalschauplatz befand, an dem Regisseur William Friedkin 1973 die Anfangssequenz seines Horrorklassikers gedreht hatte. Darin wird die Skulptur eines archaischen Dämons ausgegraben und das Böse freigesetzt. Das Böse, das dann 2004 hieß, den Zufall gleich mal zur Geschäftsidee auszubauen: Mit finanzieller Unterstützung des Pentagon sollte ein „Exorcist Theme Park“ im Irak entstehen.

Das Zusammentreffen von Kriegsschauplatz, Hollywood und Archäologie macht Allamoda nun zum Ausgangspunkt einer bemerkenswerten Galerie-Installation aus Postern, Pop-up-Bildern, einer Fotowand sowie sechs den Raum dominierenden Skulpturen. Unterschiedliche – an der Wand, der Decke oder dem Boden verankerte – Stretch-Stoffe sind um Stahlrohrkonstruktionen und Objekte wie einen hölzernen Hocker oder eine schwere Eisenstange gewickelt und halten alles in der Balance. Bettina Allamoda nennt diese Objekte „Bed-Bondage-Skulpturen“, weil sie in ihnen das Motiv des umwickelten Betts im Schlafzimmer des besessenen Mädchens aufgreift. Gleichzeitig thematisiert sie in den skulpturalen Fesseln und Knoten die Kontroll- und Sicherheitsmechanismen, die das Mädchenzimmer mit der Straße, dem Sportstadium, dem Flughafen, der Bau- und Ausgrabungsstelle sowie schließlich dem Kriegsschauplatz verbinden.

Wir assoziieren den superfeinen rosaroten Schleier, der ein schlichtes u-förmiges Stahlrohr zwischen Wand und Decke festhält, ohne weiteres mit dem üblichen Sicherheitsband, das uns auf Abstand halten soll. Und in dem blauen Voilé, der wie der Wasserfallausschnitt eines Nichts von Cocktailkleid an der Wand hängt (und entsprechend den Titel „Truppenbetreuung“ trägt), erkennen wir die blaue Schutzfolie wieder, die auf der Straße abgestellte, undefinierbare Geräte verhüllt, wie es das Bild „NYC/Times Square 2010“ auf der Fotowand zeigt. Auch der schwarzen Abdeckfolie, die den Hocker birgt, begegnen wir ständig im Alltag.

Zu Recht nennt Bettina Allamoda ihre Materialien „Psychostoffe“: hysterisch funktional, ubiquitär, ins Extrem gedehnt, Barriere und hilfreicher Wegweiser zugleich. Wir werden plötzlich gewahr: In diesen Psychostoffen wird noch ein anderer Begriff verhandelt, der des „Fabric of Society“, der das Geld und die Gewalt tarnt, der die gesellschaftlichen Psychosen wohlmeinend verschleiert und Macht und Unterwerfung fetischisiert; der uns aber auch Regeln und Sicherheit gibt und damit dann doch, am Ende, wieder Freiheit. Den sozialen Zusammenhalt kennzeichnet eben eine Ambivalenz, die Bettina Allamoda, indem sie sich jedem didaktisch-aufklärerischen Gestus verweigert, in der Reibung zwischen Form, Material und Assoziation offenlegt.

In dieser Reibung zeigt sie just jenes Vermögen, das momentan von der Berlin Biennale als das große Vermögen der Kunst ausgerufen wird: die Fähigkeit des Künstlers zur körperlichen – nicht nur visuellen – Einfühlung in den von ihm behandelten Gegenstand. Die komplexen, gedanklichen Assoziationen, die Allamodas „No Go – The Exorzist Revisited“-Schau anregt, sind so reichhaltig wie plausibel, weil der Stoff sie trägt – indem wir an ihm Druck und Zug unmittelbar verspüren, aber auch Leichtigkeit und Schwerelosigkeit. Es sagt einiges über den Kunstbetrieb aus, dass man bei September findet, was man bei der bb6 vergebens sucht: Bettina Allamodas Kunst ist für Biennalen und Kunstvereinsausstellung eben schon viel zu gut.

■ Bis Ende der Woche, Galerie September, Charlottenstr. 1, 12–18 Uhr