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Archiv-Artikel

„Beruf und Kinder passen nicht zusammen“

Marianne Dierks hat Frauen über 60 befragt, die beides versucht haben. Fazit: Für das Familienleben blieb kaum Zeit. Wir brauchen mehr Freiräume für Eltern im Arbeitsleben und mehr Betreuungsangebote für Kinder, findet die Soziologin

Frau Dierks, heute verabschiedet das Kabinett den Entwurf zum Elterngeld. Sind wir damit auf dem richtigen Weg?

Ich halte das Elterngeld für einen richtigen politischen Schritt. Damit werden die Freiräume, die Eltern für ihre Kinder in der ersten Zeit brauchen, endlich gesellschaftlich legitimiert und finanziell abgesichert.

Die Vätermonate sind nicht mehr als ein symbolischer Akt. Eine geschlechtsneutrale Lösung wie in Dänemark – dort müssen Väter und Mütter je die Hälfte der Elternzeit nehmen, sonst verfällt der Anspruch – wäre ein hervorragender Hebel zur Gleichberechtigung. So weit sind wir aber offenbar noch nicht.

Hinter dem Elterngeld steht ein neues Leitbild: Eltern, die beide berufstätig sind. Sie haben solche Elternpaare in einer Studie untersucht.

Ich habe 16 gut qualifizierte Frauen in Leitungspositionen befragt, die alle Phasen des Familienlebens hinter sich hatten. Diese Frauen sind jetzt über sechzig.

Sind deren Erfahrungen denn heute noch relevant?

Sie wären nur dann nicht mehr relevant, wenn sich die Bedingungen grundsätzlich geändert hätten. Das hieße: Erwerbsarbeit müsste familienfreundlicher geworden sein, Familienarbeit leichter. Beides ist nicht der Fall, im Gegenteil: Der Druck in der Berufswelt ist gewachsen, Arbeitnehmer müssen flexibler sein denn je. Gleichzeitig sind die Anforderungen an Eltern und die Erwartungen an die Erziehung der Kinder gestiegen.

Wie haben diese Frauen Kind und Job in Einklang gebracht?

Es gab drei Modelle: das Nebeneinander von Beruf und Familienarbeit – so genannte dual career couples, die späte Mutterschaft sowie eine Unterbrechung der Erwerbstätigkeit.

Die dual career couples haben Hausarbeit und Kinder meist an Großeltern oder Hausangestellte delegiert. Das Großelternmodell hat in der Regel gut funktioniert. Das Kinderfraumodell dagegen wurde – spätestens wenn die Kinder 13 waren – brüchig, weil die Jugendlichen die Hausangestellten nicht als ebenbürtig anerkannten. Die dual career couples waren meist nicht in der Lage, diesen Mangel abzufedern. Die Konsequenz: Zwei Drittel der Kinder wurden zu Schulversagern, brachen die Ausbildung ab, manche griffen zu Drogen.

Sind berufstätige Mütter etwa schlecht für die Kinder?

Unsinn. Doch wir müssen uns bewusst machen, dass gerade Jugendliche intensive Begleitung brauchen. Wenn die Eltern das nicht übernehmen können, müssen wir gesellschaftliche Alternativen schaffen. In Großbritannien sind Internate selbstverständlich: Diese hochprofessionelle Delegierung ist ein guter Ansatz. Auch Tagesinternate oder Ganztagsschulen gehen in die richtige Richtung. Außerdem brauchen wir mehr Flexibilität im Arbeitsleben: Berufstätige Eltern müssten zeitweise kürzer treten können, wenn ihr Kind sie braucht.

Haben die späten Mütter in Ihrer Studie den Spagat besser bewältigt?

Weil sie weniger Geld hatten, konnten sie weniger delegieren. Für spontanes, entspanntes Familienleben blieb fast nie Zeit.

In beiden Modellen kreiste viel um die Frage: Wie bekomme ich die Familie neben dem Berufsleben hin? Weniger um die Frage: Was ist gut für mein Kind?

Schule oder Kita wurden oft nach der Nähe zum Arbeitsplatz gewählt. Eine Frau weckte jeden Morgen ihre Kinder telefonisch, weil sie schon längst bei der Arbeit war. Eine andere bekam monatelang nicht mit, dass ihre Tochter nicht in die Schule ging, nachdem sie selbst das Haus verlassen hatte. Keine von ihnen hatte sich je getraut, darüber zu sprechen.

Wie tragfähig ist das klassische Ernährermodell?

Nur hier hatten die Frauen in meiner Studie mehr als zwei Kinder. Doch sie fixierten sich oft viel zu stark auf den Nachwuchs, was problematisch ist – für beide Seiten. Die Mütter litten unter der Geringschätzung der Familienarbeit, auch ihr beruflicher Wiedereinstieg war mühsam.

Beruf und Familie sind also weniger gut vereinbar, als wir heute gerne glauben wollen?

Ja, und von diesem Vereinbarkeitsmythos müssen wir uns endlich verabschieden. Die beiden Lebensbereiche können in unserer Gesellschaft derzeit nicht gleichberechtigt verbunden werden. Erwerbsarbeit hat de facto überall Vorfahrt: Sie strukturiert das Familienleben, den Umgang mit den Kindern. Beides passt aber nicht zusammen: Die Arbeitswelt ist rational und geplant. Familienarbeit verlangt Empathie, Emotionalität, spontan und ungeplant zu sein. Die Folge: Die Familien- und Erziehungsarbeit verkommt zur Restgröße, sie wird schlechter.

Was müsste sich ändern?

Statt dem Individuum die Schuld zu geben, müssen wir ehrlich über die strukturellen Unvereinbarkeiten von Beruf und Familie reden – und etwas dagegen tun. Es ist doch kein Zufall, dass immer weniger Frauen und Männer Lust dazu haben, beides zu übernehmen.

Wie also wollen wir die Familienarbeit in Zukunft organisieren? Ohne mehr professionelle Betreuungsangebote bis ins Jugendalter und mehr Flexibilität im Job für die Eltern wird es nicht gehen. INTERVIEW: ANJA DILK