: Die Entdeckung der Farbe
HIPPEN empfiehlt In „Die Tunisreise“ empfindet der Schweizer Filmemacher Bruno Moll die stilbildende Reise der Maler Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet nach
VON WILFRIED HIPPEN
Nur zwei Wochen! Länger dauerte sie nicht - die berühmte Reise, nach der die Bilder von Paul Klee, August Macke und Louis Moilliet in Farben und Formen zu explodieren schienen. Vom 3. bis 25. April 1914, also kurz bevor mit dem ersten Weltkrieg die Zeit für solch eine Bildungsreise in der Tradition des 19. Jahrhunderts endgültig vorbei war, ließen sich die drei in Tunesien vom Licht und von der morgenländischen Kultur so intensiv beeinflussen, dass zumindest Klee „nie von der Reise zurückkehrte“. So formuliert es der tunesische Erzähler, Filmemacher und Maler Nacer Khemir gleich zum Beginn des Films, und es dauert eine Weile, bis man sich an sein poetisches, bilderreiches und ausschweifendes Fabulieren gewöhnt hat.
Den er ist es, der in diesem Film durch das heutige Tunesien führt, und zusammen mit dem Berner Bruno Moll eine Spurensuche der „Tunisreise“ unternimmt. Dadurch wird elegant der touristische Ton vermieden, den der Filmemacher etwa durch einen europäischen Erzähler nicht hätte vermeiden können. So entsteht dagegen eine reizvolle Symmetrie zwischen den vorgelesenen Tagebuchnotizen Klees und den Ausführungen Khemirs, die beide ähnlich reflexiv und wohlformuliert sind. Denn Klee war an den abenteuerlichen Aspekten der Reise so gut wie gar nicht interessiert, und so ist der dramatische Höhepunkt ein Eselsritt von Macke, den Klee nebenbei (und ein wenig hochnäsig) geruht zu erwähnen.
Äußerlich geschah also so gut wie nichts für Klee bemerkensDas verlorene Halsband der Taubewertes auf dieser Reise, und für einen Regisseur ist dieser Mangel an Handlung eigentlich fatal. Aber wie Klee selber konzentriert sich Moll ganz auf dessen Eindrücke, und diese versucht er als Bildermacher mit seiner Kamera einzufangen.
Dabei bleibt er aber erstaunlich sachlich und vermeidet das zu offensichtlich Schöne. Es gibt keine Postkartenbilder in seinem Film und zum Glück auch keine Versuche, genaue Entsprechungen zu den Bildern von Klee, Macke und Moilliet zu finden und zu montieren. So werden deren Gemälde und Zeichnungen nie zu Illustrationen der Reise, sondern behalten ihre Wirkung als eigenständige Kunstwerke.
Interessant ist auch, wie Moll mit dem Problem der Exotik des Maghreb umgeht. Als Kontrapunkt zu den Bildern und Tagebuchaufzeichnungen Klees unterlegt er diese mit Klaviermusik von Johan Sebastian Bach, und wenn er die Schönheit und Finesse der muslimischen Kultur zeigen will, tut er dies nicht mit eigenen Aufnahmen, sondern bedient sich der „Innensicht“ von Khemir, indem er Ausschnitte aus dessen Filmen wie „Bab‘ Aziz“ und „Das verlorene Halsband der Taube“ zeigt
Khemir entpuppt sich als genauer Kenner von Klee und als moslemischer Kulturtheoretiker ist er genau der richtige Reiseführer für diesen Film, denn er kann präzise und anschaulich erklären, wie die arabische Formensprache mit ihren Ornamenten, Zeichen und Abstraktionen Klees Malstil beeinflussten.
En passant analysiert er auch scharfsinnig den Niedergang seiner Kultur, wenn er etwa die Scheinheiligkeit der Fundamentalisten aufdeckt, die einerseits das Bilderverbot der islamischen Lehre durchsetzten wollen, aber selber in ihrer Propaganda schamlos mit Bildern arbeiten.
Solche Widerhaken sind nötig, damit der Film eben nicht nur „schön“ ist. Und umso prächtiger strahlt in ihm das vom Kameramann Mathias Kälin eingefangene Licht, von dem Khemir meint, dass es seit Tausenden von Jahren auf die Menschen im Maghreb scheint, und das Klee sagen ließ: “Die Farbe hat mich. Sie hat mich für immer, ich weiß das.“