: Gleichheit gegen Markenwahn
AUS HILDEN SEBASTIAN HEISER
Freiwilligkeit bringt zu wenig, meint die zwölfjährige Stephanie. Eine Verpflichtung zum Tragen von Schuluniformen würde besser gegen Mobbing helfen, ist die Sechstklässlerin überzeugt. Seit einem Jahr gibt es an der Theresien-Realschule in Hilden hellblaue Polohemden mit dem runden Logo der Schule auf der Brust und dazu passend einen dunkelblauen Pullover. Doch auf dem Pausenhof ist das Hemd nur vereinzelt zu sehen, bei den jüngeren Schülerinnen häufiger als bei den älteren. Bisher hat der Förderverein 485 Hemden verkauft – bei mehr als 700 Schülerinnen. Stephanie will daher noch einen Schritt weiter gehen: „Ich könnte damit leben, wenn alle gleich angezogen wären. Da gewöhnt man sich dran.“
Sarah und Laura widersprechen. Beide sind 15 Jahre alt und gehen in die 9. Klasse der Theresienschule. „Ich würde mich unwohl fühlen“, sagt Laura. Sie fände sich zu stark eingeschränkt, wenn sie sich durch vorgeschriebene Kleidung nicht mehr individuell ausleben könne: „Das macht einen ja auch aus, wie man angezogen ist.“ Zudem sei einheitliche Kleidung kein Allheilmittel, meint Laura. „Mobbing wird sich nie ganz erübrigen. Es gibt immer Leute mit mehr Selbstbewusstsein.“ Aber auch sie glaubt, dass eine vorgeschriebene Schulkleidung für alle Schülerinnen dazu beitragen könnte, das Problem zu reduzieren.
Und dass teure Markenkleidung zum Problem werden kann, da sind sich alle einig. „Wer gemobbt wird, hat Angst, in die Schule zu gehen und keine Lust, auf Klassenfahrten mitzufahren“, sagt die 15-jährige Sarah. Häufig trifft es die Schülerinnen mit wenig Selbstbewusstsein. Aber die Kleidung spielt eben auch eine Rolle. „Du hast ja nicht die Puma-Schuhe oder das Lacoste-Shirt“, erzählt die 12-jährige Stephanie von Hänseleien. Und die 15-jährige Lara, die genau wie Sarah in die 9. Klasse geht, sagt: „Die keine Markenklamotten anhaben, werden dann richtig ausgeschlossen.“ Das sei in der Freizeit nicht so extrem, „weil man da nicht so aufeinander hockt wie in der Schule“.
Ihre Realschule, die in einem schmucklosen Zweckbau aus rotem Backstein residiert, ist eine reine Mädchenschule. Bei Gesprächen unter Mädchen in ihrem Alter ist das Aussehen ein großes Thema, in einer reinen Mädchenschule vielleicht sogar noch mehr als in einer gemischten Schule. Da geht es um das Gewicht, die Frisur, die Farbe des Hemdes – und um die Marke. Wer sich die derzeit angesagte Kleidung nicht leisten kann, sieht sich nicht selten dem Spott der anderen ausgesetzt.
Die Idee, etwas dagegen zu unternehmen, kam von einer der Schülerinnen. Stephanie, die Sechstklässlerin, zog vor einem Jahr durch die Klassen und warb für die Schuluniform. Sie bekam viel Zuspruch. Das ist nicht gerade alltäglich für eine so junge Schülerin, von der sich die älteren normalerweise nichts sagen lassen. Aber Stephanie tritt ungewöhnlich selbstbewusst auf und kann ihre Argumente klar rüberbringen.
Sie stellte ihre Idee schließlich auf der Lehrerkonferenz vor. Die beschloss dann, das Experiment zu wagen, zunächst mit freiwilliger Schulkleidung. Der Förderverein der Schule organisiert jetzt den Verkauf. Zehn Euro kostet das hellblaue Polohemd mit dem runden Logo der Schule auf der Brust, den dunkelblauen Pullover gibt es für 20 Euro. Markenklamotten im Laden kosten ein Vielfaches.
Auch der Leiter der Theresienschule, Diethard Müller, hat die Idee mit der Schulkleidung gefördert: „Ich stand dem positiv gegenüber.“ Er erzählt von einer Mutter, die 100 Euro für die Markenjeans ihrer Tochter ausgegeben habe, für sie selbst habe es dann nur noch zum Einkauf bei C&A gereicht. Er findet es wichtig, die Einflüsse von außen auf die Schüler einzudämmen, spricht von einem Schonraum. „Kinder brauchen Schutz und Behütetsein. Wir begleiten die Schülerinnen, wollen sie stark machen“, sagt Schuldirektor Müller. Jetzt macht das Hildener Modell Schule. Am 21. Juni soll der nordrhein-westfälische Landtag das neue Schulgesetz beschließen. Darin wird erstmals die Einführung von Schuluniformen geregelt. Bisher war unsicher, was geht und was nicht; eine Schule hatte etwa versucht, Zwangsuniformen einzuführen, war aber von der Schulaufsicht zurückgepfiffen worden.
In Zukunft sollen Schulkonferenzen nach dem Willen der Landeskoalition aus CDU und FDP eine einheitliche Schulkleidung beschließen können. Schulministerin Barbara Sommer (CDU): „Einheitliche Schulkleidung kann dazu beitragen, die Identifikation der Schüler mit ihrer Schule zu verstärken und ein Übermaß an Markenbewusstsein unter Kindern und Jugendlichen zu bremsen.“ Es soll aber keinen Zwang geben, die Kleidung auch anzuziehen. Nach Ansicht von FDP-Fraktionschef Gerhard Papke sei eine Pflicht zur Einheitskluft rechtlich nicht möglich und inhaltlich falsch, weil es dann schließlich auch Sanktionen geben müsste.
Wie würden die Schülerinnen selbst entscheiden, wenn sie an Stelle der Politiker wären? Zwangsuniform oder freiwilliges Bekenntnis? Ratlose Blicke in der Runde. „Es muss Auswahl da sein“, meint Sarah. Jetzt reden die Schülerinnen eine Weile über die Bedingungen, unter denen sie sich verpflichtende Schulkleidung vorstellen können. Es scheint viel davon abzuhängen, wie genau diese Bedingungen aussehen. „Ich ziehe nicht gerne Röcke an“, erzählt Sarah, es müsse also auch Jeanshosen geben. Und für den Sommer ein luftigeres Top. Die Kleidung sollte modisch sein, die Schülerinnen sollten Einfluss auf den Schnitt und die Farbe haben. An der Theresienschule gab es zum Beispiel eine Abstimmung zwischen pink, grün, gelb, weiß und blau. Und für die Zukunft wären weitere Farben gut. An dem Blau sehe man sich ja irgendwann satt.
Schließlich sollte die vorgeschriebene Kleidung nicht zu plötzlich kommen. „Sonst steht man vor seinem Kleiderschrank voll mit Sachen, die man auf einmal nicht mehr anziehen kann“, sagt Sarah. „In England wachsen sie in die Uniformen rein und kennen es nicht anders, dann ist das in Ordnung.“ Und schließlich sollten die Schüler nicht von der Entscheidung überrumpelt werden, sondern sie selbst treffen.
Und so zeichnet sich doch noch ein Kompromiss ab unter den drei Schülerinnen: Erst sollte es gut aussehende Hemden und Hosen geben, dann sollten die freiwillig eingeführt werden, dann sollte es eine Abstimmung geben und wenn die Mehrheit dafür ist, sollte die Schulkleidung nach und nach, von der ersten Klasse an, eingeführt werden. Unter diesen vielen Bedingungen wären sie bereit, auf einen Teil ihrer Individualität zu verzichten, so die Grundstimmung unter den drei Schülerinnen der Theresienschule. Zwang light also. Doch so ein Experiment wird in Nordrhein-Westfalen nicht möglich sein: Das Schulgesetz sieht strikte Freiwilligkeit vor.