: An die Vögel verloren
STIMME Die norwegische Künstlerin Susanna Wallumrød landet mit ihrem Album „The Forester“ im Schatten spröder Sängerinnen
VON STEFAN MAHLKE
Es gibt Debütalben, über denen ein Fluch liegt. Weil sie so gut sind, wird ihre Qualität danach nie wieder erreicht. „List of Lights and Buoys“ von Susanna and The Magical Orchestra ist so ein Werk, 2004 erschienen.
Susanna, das ist die norwegische Sängerin Susanna Wallumrød, war damals gerade 23 Jahre alt und bis dahin unbekannt. Und The Magical Orchestra bestand einzig aus Morten Qvenild, der sich zuvor als stilistisch vielfältiger Jazzpianist einen Namen gemacht hatte. „List of Lights and Buoys“ ist eine eklektizistische, verspielt-minimalistische Sammlung von Songs. Es läuten die Glocken, die elektronischen, aber bevor es zu weihnachtlich wird, gibt’s Störfeuer: Da klingt es dann, als hätten die Lautsprecher was abbekommen. Streicherpartien werden gekontert von einer Bassdrum oder eine verzerrte Gitarre kommt einem Akkordeon in die Quere.
Ohne Angst bedienten sich Susanna und Morten Qvenild aus der Schatztruhe der elektronischen Musikerzeugung – wie Kinder, die sich freuen, was es da alles zu finden gibt. Die Fundstücke verwendete Qvenild sparsam, immer war der Klangraum frei für Susannas Stimme. Das machte die Songs so transparent, wodurch sich ihr Album auch von Björks „Vespertine“ (2001) unterscheidet, mit der sie sonst manches gemein hat. Fast neun Jahre später erscheint jetzt „The Forester“, als erste Veröffentlichung auf ihrem eigenen Label SusannaSonata.
Dazwischen legte die norwegische Künstlerin – nachdem ihre Interpretation von Dolly Partons Hit „Jolene“ es 2004 sogar zur Singleauskopplung geschafft hatte – mehrere Alben mit Coverversionen vor. Auf denen blitzte immer ihr Talent auf, Hits aus dem Archiv populärer Musik zu skelettieren, aber die Reise ging mehr und mehr in Richtung Singer-Songwriter-Pop. Da räkelte sich Susannas Gesang auch schon mal auf Klangteppichen. Die minimalistische Verspieltheit allerdings war dahin.
„The Forester“ ist kein Zurück zu den Anfängen, aber ein Versuch, sich von Ballast zu befreien. 2011 hatte Susanna mit der Schweizer Harfenistin Giovanna Pessi das Album „If Grief Could Wait“ eingespielt. Darauf wird Henry Purcell, der große Komponist des Barock, zum Kühlhaus für Susannas eigene Lieder („The Forester“ und „Hangout“) und zwei Coverversionen von Leonard-Cohen-Songs.
Zu streng, zu kühl? Susanna bringt den Titelsong auf „The Forester“ auf Zimmertemperatur. Seine Länge wird gestreckt, und wo in der Erstfassung ausschließlich mit Saiteninstrumenten gespielt wird, eröffnet jetzt ein Klavier. Auch die Theorbe – eine Art Basslaute – macht den Streifzug durch den Wald zum melancholisch-lauschigen Spaziergang. Und wenn die Schlussverse – „Once again / We are lost / To the birds / To the rocks“ – extra gedehnt gesungen werden, imitiert das eher einen gedachten Sinn, als dass der schönen Schlichtheit der Worte vertraut wird. Am entrücktesten ist noch „Oh, I Am Stuck“. Hier büchsen Cello, Flöte, Altflöte, Geige, Bassklarinette und Theorbe aus – und das Klavier, gespielt von Susanna selbst, versucht sie wieder einzufangen.
Die Musiker vom Ensemble neoN spielen übrigens exzellent. Auf „Intruder“, dem vierten von fünf Titeln, schreiten Musik und Susannas Gesang wieder allzu einträchtig auf ihrem Weg – ein wenig zu schön, zu kontrolliert, zu ernst. Das ist schade, denn der Gesang der Norwegerin hat eine erstaunliche Anmutung: kindlich-naiv und zugleich artifiziell unterkühlt, mal gehaucht wie Björk oder rau wie Nico. Selbst in den höheren Tonlagen behält ihre Stimme etwas Sprödes. Trotzdem oder gerade deshalb hat man oft das Gefühl, Susanna könnte die Stücke – eigene wie fremde – auch alleine tragen. Fluch des grandiosen Debüts? Hat Lou Reed jemals ein besseres Album als das Debüt mit Velvet Underground veröffentlicht?
■ Susanna and Ensemble neoN: „The Forester“ (SusannaSonata/Cargo)