Zermürbt und politikmüde

RUSSLAND Die meisten Menschen interessieren sich nur wenig für die Protestbewegung in der Ukraine

ST. PETERSBURG taz | Die Position des Kreml gegenüber den Protesten in der Ukraine ist klar: Die Östliche Partnerschaft der EU ist gegen russische Interessen gerichtet. Zwar betonen die Abgeordneten und Präsident Wladimir Putin die Unabhängigkeit und Souveränität aller ehemaligen Sowjetrepubliken. Doch der Umstand, dass Putin zufolge der Zusammenbruch der Sowjetunion die größte Katastrophe des 20. Jahrhunderts ist und die Verabschiedung von Gesetzen, die Russland in die sowjetische Vergangenheit zurückversetzen, lassen keine Zweifel aufkommen: Putin plant, die Exsowjetrepubliken wieder zu vereinigen.

Die Partner des Kreml sind vor allem Staaten mit totalitären Regimes. Demokratische Länder werden hingegen mit Argwohn betrachtet. In den letzten Jahren verstärkt sich die Tendenz, Staaten, die Putins Regime gegenüber loyal sind, zu subventionieren und diejenigen, die ihren eigenen Kurs einschlagen, mit Sanktionen zu belegen. Das zeigt sich vor allem am Beispiel der Ukraine und Weißrusslands.

Die offiziellen oppositionellen Kreise sind der Auffassung, dass eine Annäherung an Europa nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Russland wichtig ist. Sie glauben, dass Putins Politik Russland schadet und zu wirtschaftlichen und finanziellen Verlusten führt. Für sie ist die Protestbewegung auf dem Kiewer Unabhängigkeitsplatz (Maidan) – sollte sie erfolgreich sein – ein Weg zu einem besseren Lebensstandard, wovon sowohl die Ukraine und Länder, die in den letzten Jahren der EU beigetreten sind, als auch Russland profitieren. Die Mehrheit hofft auf einen friedlichen Sieg der ukrainischen Opposition.

Die Positionen der Kommunisten und Nationalisten ähneln sich sehr. Sie empfinden den „Euro-Maidan“ als Verrat und als Undankbarkeit vonseiten der Ukraine. Sie sind überzeugt, dass die Proteste vom Westen finanziert werden und der Ukraine die Spaltung droht, sollte die „Revolution“ weitergehen.

Die Oppositionellen, die sich außerhalb des Systems verorten, sind skeptisch. Zwar lehnen sie den Druck, den Putin auf die Ukraine ausübt, ab, glauben aber auch nicht daran, dass die Absichten Europas aufrichtig sind.

Die Mehrheit der Russen interessiert sich nicht besonders für die Ereignisse in der Ukraine. Dabei sind Politikmüdigkeit sowie die Unfähigkeit, die Vorgänge zu verstehen, spürbar. Die Ereignisse in Russland der vergangenen Jahre haben die Menschen zermürbt, eingeschüchtert und das Interesse an Protestbewegungen und den Spielchen der Politiker erlöschen lassen. Diejenigen, die Anteil nehmen, beneiden die Ukrainer sogar ein wenig.

In der nächsten Zeit dürfte der ukrainische Präsident Wiktor Janukowitsch versuchen, nicht übereilt zu agieren – weder gegenüber der EU noch gegenüber Russland. Und er wird wieder seine traditionelle Schaukelpolitik betreiben. Jedoch sind bislang alle Versuche, die Ukraine zu modernisieren, an diesem doppelten Spiel gescheitert.

SWETLANA RJASCHINA

Aus dem Russischen Barbara Oertel