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Archiv-Artikel

Die Hausdurchsuchungen

Die Wahrheit-Wochen der kleinen Verbrechen. Heute: Unterwegs als Fernseharsch

Sich fürs TV zu verdingen ist an sich schon ein peinliches Verbrechen. Allerdings eines, das sich lohnt. In den Jahren, in denen ich als Fernsehschaffender manch krummes Ding drehte, wies mein Kontostand jedenfalls regelmäßig vier, fünf Ziffern vor dem Komma auf. Was freilich heute immer noch der Fall ist. Es prangt jetzt bloß stets auch ein Minuszeichen davor. Nein, das Fernsehen lässt sich gegenüber seinen Schergen nicht lumpen.

Dabei war ich nur ein relativ kleines TV-Licht. Für die richtig perfiden Fernseh-Halunkereien ließ ich mich nur selten einspannen: Für die windigen Kulturmagazine etwa, die belanglosen Reportagen oder diese brutal dümmlichen Vorabendjournale. Ich brachte meine kriminelle Energie vor allem in Halbsatire-Sendungen ein. Die schon deshalb kein nennenswertes publizistisches Unheil anrichteten, weil sie kaum einer guckte. Und dennoch: Auch ein geringfügiges Verbrechen ist ein Verbrechen. Dies umso mehr, wenn man sich dabei so skrupellos der Leichtgläubigkeit ahnungsloser Menschen bedient, wie ich es im Fernsehauftrag tat.

Es war im Frühjahr 1996. Einer der ersten großen Atommülltransporte nach Gorleben stand kurz bevor. Der Pressewirbel darum tobte heftig, weswegen auch meine Redaktion etwas zu dem Thema machen wollte. Also heckte ich zusammen mit einigen TV-Kumpanen eine Idee aus. Es galt, die Praxis der deutschen Atommüllentsorgung durch eine möglichst groteske Überzeichnung als den gleißenden Irrsinn zu geißeln, der er nun mal ist.

Der Film, den wir dann zuwege brachten, entstand nach dem Prinzip des Unsichtbaren Theaters. „Versteckte Kamera“ nannten wir diese von uns damals häufiger angewendete Produktionsform auch. Obwohl die Kamera dafür gar nicht versteckt werden musste. Sie war an den Schauplätzen immer sichtbar zugegen. Wenn bei solchen Drehs etwas zu vertuschen war, dann die wahre Identität der drei Schauspieler, die dabei – ausgestattet mit einer ziemlich abwegigen, aber in sich stimmigen Legende und entsprechend kostümiert – ahnungslose Passanten von der Straße weg in die Filmhandlung integrierten, indem sie sie gezielt in absurde Gespräche und Aktionen zum Thema verwickelten. Denen schwante indes nur selten, dass alles bloß eine Inszenierung war.

Da ich es zuvor schon einige Male zu einer gewissen Virtuosität bei solchen Faxenmachereien gebracht hatte, musste ich auch bei diesen Dreharbeiten als rädelsführender Darsteller ran. Und ab ging’s in den Landkreis Lüchow-Dannenberg, wo sich gerade einige widerständige Gemeinden geweigert hatten, den auswärtigen Polizeikräften, die zur Sicherung des bevorstehenden Castor-Transports massenweise ins Wendland einrückten, die Quartiernahme in gemeindeeigenen Gebäuden wie Schulen oder Turnhallen zu erlauben. Angetan mit martialischen Fantasieuniformen, wiesen wir uns gegenüber Bewohnern dieser Gemeinden als Vertreter eines niedersächsischen Atomministeriums aus, als die wir berechtigt seien, geeignete Privathäuser zur Unterbringung für die auswärtigen Sicherheitskräfte zu beschlagnahmen.

Und hatten damit einen erschütternd durchschlagendem Erfolg: Etliche der Leute, in deren Häuser wir uns unter Vorlage selbst gebastelter Dienstausweise und Beschlagnahmebescheide Zutritt verschafften, nahmen uns den Schmu ab. Von unserem rabiaten Auftreten ebenso überzeugt wie eingeschüchtert, ließen sie uns bereitwillig ihre Wohnungen inspizieren. Und wir nutzten das schamlos aus. In einem Haus drangen wir sogar bis ins eheliche Schlafzimmer vor, wo ich einen meiner „Untergebenen“ aufforderte, sich zur Überprüfung der Matrazenqualität mal kurz ins Bett zu legen. Was er auch tat – und er zog sich dafür nicht mal die Stiefel aus.

In einem anderen Haushalt kontrollierten wir völlig ungeniert den Kühlschrankinhalt, weil die Eigentümer, so ließ ich sie wissen, die bei ihnen zwangseinquartierten Polizisten selbstverständlich auch bekochen müssten. Und zwar auf eigene Kosten.

Bei einem weiteren Hausbesuch widmete ich eine im Keller vorgefundene Kartoffelkiste spontan zur Arrestzelle um. In die würden im Bedarfsfall Atomkraftgegner interniert, wie ich dem Hausbesitzer wohl sehr glaubwürdig erklärte, denn er wurde darauf ganz blass. Damit nicht genug, überprüften wir auch noch das Leitungswasser im Haus auf dessen Tränengas- und Wasserwerfertauglichkeit.

Ein paar Häuser weiter ließ ich sogar kurzerhand einen Wasserhahn versiegeln, nachdem ich auch das daraus sprudelnde Nass erfolgreich auf seinen Feuchtigkeitsgrad geprüft und der Dame des Hauses eingeschärft hatte, dass aus diesem Hahn nur noch Wasserwerfer der Polizei betankt werden dürften.

Kurzum: Ich führte mich auf wie ein dummes Arschloch. Zwar bewiesen unsere Dreistigkeiten eindrucksvoll, dass die Menschen rund um Gorleben der sie regelmäßig drangsalierenden Staatsgewalt mittlerweile auch die haarsträubendsten Ungesetzlichkeiten zutrauten. Aber rechtfertigte das die Unverfrorenheit, mit der ich Fernsehknecht da vor laufender Kamera diverse Privatsphären verletzte? Doch das war nicht mal mein schlimmstes Verbrechen. Viel schlimmer noch – und ich kann das zu meiner Schande einfach nicht länger leugnen: Es machte mir leider unbändigen Spaß, dieses dumme Arschloch zu geben.

FRITZ TIETZ