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Archiv-Artikel

Zuerst die ganzen Organe

Die Entnahme, Verarbeitung und Verwertung von Körperteilen wie zum Beispiel Hornhäuten, Blutgefäßen oder Hautzellen soll jetzt gesetzlich geregelt werden. Für viele Gewebebanken in den kleineren Krankenhäusern könnte es das Ende bedeuten

VON KLAUS-PETER GÖRLITZER

Menschliche Zellen und Gewebe werden täglich als Rohstoff genutzt: Chirurgen transplantieren Knochen, Augenhornhäute oder Herzklappen; Unternehmen verarbeiten Gewebe von Toten und produzieren daraus Arzneien und Medizinprodukte; Wissenschaftler forschen mit embryonalen Zellen – in der Hoffnung, aus ihnen irgendwann Ersatzorgane züchten zu können.

Mit solchen Arbeiten, gewöhnlich als therapeutischer Dienst am Patienten dargestellt, wird auch reichlich Geld verdient. 250.000 Euro sei der menschliche Körper faktisch wert, wenn er in alle seine „nützlichen Teile zerlegt“ ist, rechnete die Süddeutsche Zeitung einmal vor – erlöst durch Leistungen, die ganz legal in Rechnung gestellt werden dürfen: etwa das Sammeln, Versenden, Verarbeiten und Implantieren von Körperstücken.

Wer sich in diesem Wirtschaftszweig wie betätigen darf, will das Bundesgesundheitsministerium (BMG) nun regeln. Sein Referentenentwurf für ein Gewebegesetz verlangt: Jede Einrichtung, die menschliche Zellen und Gewebe entnehmen, lagern und weiterverarbeiten will, unterliegt einer Zulassungspflicht und wird in einem zentralen, „öffentlich zugänglichen“ Register aufgelistet. Die Herstellungserlaubnis erhält nur, wer eine Reihe kostspieliger Auflagen erfüllt, die offiziell dazu dienen sollen, „Qualität und Sicherheit“ bei der Gewebenutzung zu gewährleisten. Verlangt wird zum Beispiel, dass Augenhornhäute unter „Reinraumbedingungen“ gelagert werden müssen. Dies technisch zu realisieren, könnte pro Hautbank bis zu 400.000 Euro kosten, beklagt die Bundesärztekammer (BÄK).

Die geplanten Vorgaben würden für alle Gewebebanken gelten – egal ob sie von Pharmaunternehmen, Biotechfirmen oder Kliniken betrieben werden. Letztere sind laut Deutscher Krankenhausgesellschaft (DKG) bisher „Hauptakteur bei der Gewinnung von Gewebe- und Zellspenden“. Diesen Status könnten sie nun verlieren, befürchtet die DKG; jedenfalls werde manches Hospital nicht dazu in der Lage sein, die Investitionen für die angekündigten Vorschriften zu finanzieren. Viele seit Jahren in Klinikregie betriebenen Gewebesammlungen, von deren Vorhandensein manch Körperteilspender wohl gar nichts ahnte, wären laut BÄK künftig „in ihrer Existenz gefährdet“.

Mehr noch: „Wenn das Gewebegesetz in der jetzigen Form in Kraft tritt“, kritisiert BÄK-Präsident Jörg-Dietrich Hoppe, „dann ist dem gewerblichen Markt für Gewebetransplantate Tür und Tor geöffnet.“ Tatsächlich will das BMG den Umgang mit menschlichen Zellen und Geweben dem Arzneimittelgesetz unterstellen, das Handel grundsätzlich erlaubt. Die Kliniken werden da nicht mithalten können, ahnt die DKG: „Dieses Geschäftsfeld wird daher ausschließlich von pharmazeutischen Unternehmen übernommen werden.“ Und die DKG fügt hinzu: „Die Krankenhäuser werden die weiterverarbeiteten Produkte zu entsprechend hohen Preisen zurück kaufen müssen.“

Und was bedeuten die BMG-Pläne für die Bürger? Vor allem müssen sie mit verstärkten Appellen an die Nächstenliebe rechnen. Wer das 16. Lebensjahr vollendet hat, soll von seiner Krankenkasse „in regelmäßigen Abständen“ angesprochen werden – „mit der Bitte, eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abzugeben“, verlangt der BMG-Entwurf. Stirbt ein Versicherter, der sich zu Lebzeiten nicht dazu geäußert hat, ob und welche Gewebe er im Todesfall wozu zur Verfügung stellen wolle, müssen Angehörige stellvertretend entscheiden.

Am Totenbett könnte es zu makabren Drängeleien kommen. Denn in der Regel werden mehrere Organe und Gewebe von unterschiedlichen Teams entnommen. Das weiß auch die BÄK, und so fordert sie vorsorglich eine Klarstellung: Festgelegt werden solle, „wer in welcher Reihenfolge oder in welcher Hierarchie oder gar gesamtverantwortlich ‚Ablauf und Umfang der Organ- oder Gewebeentnahme aufzuzeichnen‘ hat“. Die Gewinnung transplantabler ganzer Organe wie Nieren, Lebern oder Herzen müsse grundsätzlich Vorrang vor der kommerziell lukrativen Gewebeentnahme haben, wünscht sich die BÄK.

Der umfangreiche Gesetzentwurf – inklusive Begründung ist er 92 Seiten dick – wirft noch viel mehr Fragen auf. Zum Beispiel: Was versteht das BMG eigentlich unter einer „Aufwandsentschädigung“ für Gewebespender? „Das Nähere“ dazu will das Ministerium später selbst per Rechtsverordnung festlegen. Wie weit reichend dieser Passus ausgelegt werden kann, zeigt die Interpretation der BÄK. Der Gesetzentwurf definiert eine Mutter als „Spenderin“, sofern sie Gewebe oder Organe ihres Embryos oder Fötus zur Nutzung freigibt. Der Anspruch auf eine Aufwandsentschädigung gilt für jede Gewebespende. „Dies“, folgert die BÄK, „könnte letztlich zu einer verdeckten Bezahlung von Schwangerschaftsabbrüchen führen.“

Das BMG behauptet, es folge ja nur den Vorgaben der seit über zwei Jahren geltenden Gewebe-Richtlinie der Europäischen Union (EU). Tatsächlich hätten deutsche Gesetze bereits bis April 2006 an die EU-Direktive angepasst werden müssen. Doch diese Frist war sowohl der rot-grünen, als auch der schwarz-roten Bundesregierung zwei Jahre lang ziemlich egal. Nun hat es das BMG plötzlich sehr eilig: Der Referentenentwurf könnte noch vor der parlamentarischen Sommerpause vom Kabinett abgenickt werden. Eine öffentliche Expertenanhörung ist bislang nicht vorgesehen.