: Karriereoption SS
NS-GESCHICHTE Die SS war auch ein Unternehmen, das kitschiges Porzellan, „deutschen Pfeffer“ und vegetarische Produkte herstellte. Die Ausstellung „Hitlers Schreibtischtäter“ informiert über das SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt in Steglitz
VON JAN FEDDERSEN
Anschauliches, in den heutigen Alltag Übersetzbares muss eine Geschichtsausstellung bieten. Weshalb sonst könnte eine Ausstellung wie jene, die momentan in der Schwartzschen Villa in Steglitz zu bestaunen ist, attraktiv sein? Sie ist mit „Hitlers Schreibtischtäter“ betitelt, sie handelt vom in diesem Berliner Bezirk einst angesiedelten SS-Wirtschaftsverwaltungshauptamt Unter den Eichen 126–135.
Tatsächlich war diese Abteilung der Schutzstaffel der NSDAP eine Lenkungszentrale für die ökonomischen Projekte der Elitetruppe des Nationalsozialismus. Hier ist also nicht von Hinrichtungen, von Kriegshandlungen im engeren Sinne oder von Metzeleien die Rede. Beleuchtet wird eine Abteilung der SS, die sich den Rohheiten der Blutigen nicht tagtäglich widmen musste.
Kuratorin Doris Fürstenberg hat die Schau organisiert, ihre Befunde und Zeugnisse recherchieren lassen – und kann wirklich eine Ausstellung für die Nachgeborenen präsentieren, wie es sie eher selten gibt: Das nationalsozialistische Tun abseits des Grellen. Hier, im SS-Amt Unter den Eichen, ging es bürokratisch-gesittet zu.
Als Ikone ins Auge fallen am ehesten Dinge im zweiten Raum. Dort sieht man Porzellan, das eine SS-eigene Manufaktur in München-Allach fertigte. Ornamentierte Teller, kitschige Preziosen und eine Figur, die „Der Sieger“ heißt, stehen in der Vitrine. Letztere erinnert, das könnte als Brücke in heutiges Vorstellungsvermögen nützlich sein, an eine männliche Barbie-Puppe namens Ken. Bei eher flüchtigem Blick erkennt man nichts SS-artiges an all diesen Dingen – erst die Rune verweist auf den Markennamen des Konzerns, auf das Label, das Brandzeichen.
Niedlich, heroisch
Man erkennt leicht: In diesem ästhetischen Sinne hätte die Betriebszentrale weitergemacht – verblüffend ist, dass es diese „Schönheit mit der SS-Rune“ im Nachkriegsdeutschland sehr wohl weiterhin gab. Putzige, ins Niedliche wie Heroische weisende Objekte, die eine sehr enge Vorstellung von Schönheit belegen. Die SS – das war auch eine kundenorientierte Firma, die versuchte, die eigene und sehr wohl unter Deutschen bekannte und berüchtigte Aura des Horriblen vergessen zu machen.
Andere Unternehmen, die die SS förderte, gründete und stützte, handelten mit Mineralwasser und mit Büchern oder kümmerten sich um den Öko- und Vegetarismusfimmel von SS-Chef Heinrich Himmel. Es gab, so erfährt der Besuchende, von der SS produzierten „deutschen Pfeffer“ – eine Art Kräutermischung, die aus allerlei bestand, aber keinen Pfeffer enthielt. Es ging bei solchen Produkten um Autarkie, um Unabhängigkeit im Krieg selbst und um den Beweis, dass das Deutschland des Nationalsozialismus die multikulturelle Welt auch im Nahrungsbereich nicht braucht.
Wovon man erfährt im Hinblick auf das Tun der SS an ihrem Standort Unter den Eichen ist auch dies: Sie war eine Firma, die buchhalterisch wie ein analphabetischer Saustall funktionierte. Unentwegt subventioniert, ohne echte Bilanzen zu dem, was sich rechnet und was als unprofitabel beendet werden sollte. Die SS, so lernt man, war ein Gesinnungsrudel auch im Ökonomischen – das konnte auch betriebswirtschaftlich nicht gut gehen. Die Ökoflächen, der Verlag, die Manufaktur, die anderen Sektoren: sie funktionieren nur, weil die SS über Zwangsarbeiter verfügte wie über Sklaven. Diese verschob man wie menschliche Maschinen, die getötet werden müssen, wenn sie ausgelaugt und nicht mehr fähig sind, die Schufterei zu bewältigen.
Gewöhnliche Nachbarn
Die Schautafeln, die instruktiven Beschriftungen, die ausgelegten Hefter mit kopierten Dokumenten, die Vitrinen mit den Produkten der Firmen: all dies symbolisiert nicht das Schreibtischtäterhafte schlechthin, sondern vor allem die Gewöhnlichkeit in einer Zeit, die mit der Chiffre „sechs Millionen Tote im Holocaust“ nicht präzise genug beschrieben werden kann: Der Nationalsozialismus war als ein Zukunftsmodell bei der Mehrheit der Deutschen imaginiert worden – als eines, in dem „Weihnachten“ nicht mehr so heißen sollte, sondern „Jul“, weil das nordischer und distanziert gegenüber der christlichen Festtradition klang.
So ist das, was in der Schwartzschen Villa zu sehen ist, eine Nahaufnahme aus der Zeit selbst: der gewöhnliche SS-Betrieb jenseits des direkten Mordens. Man hatte sich eingerichtet. Die Funktionäre, deren Bilder die Ausstellung zeigt, waren Väter, Onkel, Verwandte. Männer, für die die SS eine Karriereoption war – in der Schutzstaffel zu arbeiten war nicht ehrenrührig, sondern eine Arbeit, wie sie jedes andere Büro auch hätte bieten können. Nur regimenäher, aufstiegsorientierter mithin.
Die Täter, also Mitarbeiter dieses Amts, kamen bis auf rare Fälle allesamt gut in die Zeit nach dem Krieg. Sie lebten weiter, wie es diese Schau vermitteln will: normal, ungerührt. Sind sie nicht gestorben, so sind sie es immer noch – Nachbarn.
■ „Hitlers Schreibtischtäter“: Schwartzsche Villa, Grunewaldstr. 55, bis 23. 2., Di.–So. 10–18 Uhr