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Archiv-Artikel

Stéphane Hessel

Diplomat. 20. Oktober 1917–27. Februar 2013

VON MARTIN SCHULZ

Zweimal hatte ich das Glück, Stéphane Hessel zu begegnen, bei einem Abendessen in Paris und seinem Besuch im Europaparlament. Er versprühte Fröhlichkeit und Optimismus, sprach Deutsch fast so gut wie Französisch und rezitiere Gedichte aus dem Gedächtnis. Stéphane Hessel war eine Jahrhundertpersönlichkeit. Im Wortsinn.

Seine Lebensgeschichte umfasst die schönsten und die verstörendsten Momente des 20. Jahrhunderts. Geboren ein Jahr vor dem Ende des Ersten Weltkriegs, 1917 in Berlin, wächst er ab seinem siebten Lebensjahr in Pariser Künstlerkreisen auf. Als das nationalsozialistische Deutschland 1940 Frankreich besetzt, schließt sich Hessel der Résistance an. Im Juli 1944 wird er von der Gestapo gefangen genommen, gefoltert und in das Konzentrationslager Buchenwald deportiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg arbeitet Hessel als französischer Diplomat an der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ mit.

Aus den Gräueln, aus dem Überleben, leitete er für sich eine Verantwortung ab. Zeitlebens engagiert sich der aufrechte Demokrat, gebildete Weltbürger und mutige Humanist für die Verfolgten und Unterdrückten, für Flüchtlinge und Fremde.

Ich habe mich oft gefragt, ob ich denselben Mut aufgebracht hätte wie er, für die Demokratie mein Leben zu riskieren. Es ist der Geist der Résistance, der ihn auch noch in hohem Alter bewegt, sich über den Verfall demokratischer Werte in der Gegenwart zu empören. Mit seiner Streitschrift „Empört Euch!“ gegen die Gleichgültigkeit wird er zum Idol der Jugend. Sein Aufruf an uns alle lautet: „Sich nicht kleinmachen und kleinkriegen lassen von der internationalen Diktatur der Finanzmärkte, die es so weit gebracht hat, Frieden und Demokratie zu gefährden.“

Stéphane Hessel war ein großer Kämpfer für die menschliche Würde. Er fehlt uns.

Martin Schulz, 57, ist Präsident des Europäischen Parlaments, Europa-Beauftragter der SPD und Vizepräsident der Sozialistischen Internationale