Coca-Cola am Schlusslichtsteg

Hans-Jörg und Gisela Wohlfromm haben Alltägliches und Kurioses aus dem Nationalsozialismus gesammelt. Da ist zwar allerlei Ungewöhnliches dabei, reflektiert wird das aber nicht

Bis heute gibt es eine seltsame Seite des „Dritten Reiches“: die scheinbar unverbundene Gleichzeitigkeit von nationalsozialistischer Blut-und-Boden-Ideologie und einer prowestlichen Unterhaltungskultur. Hans Grimms „Volk ohne Raum“ und Heinrich Spoerls „Feuerzangenbowle“ führen gemeinsam die Bestsellerlisten der NS-Zeit an. Dabei suggerieren die offiziellen Filme und Fotos aus der Zeit von 1933 bis 1945 ein Deutschland, das in ständigen Paraden, Fahnenappellen und Heldengedenkfeiern aufging.

Doch: Diese Bilder haben die Nationalsozialisten selbst von Alltag der Deutschen unter Hitler geprägt. Dass es parallel dazu ein „normales“ Leben gab, in dem die Volksgenossen nicht nur dem Führerkult, sondern englischen Krimis, amerikanischen Filmen und französischer Schlagermusik frönten, zeigten sie aus verständlichen Gründen nicht. Entsprechend schwierig ist es für die Forschung, den „wahren“ Alltag der Deutschen im Dritten Reich zu rekonstruieren – und zu ermessen, wie tief die Propaganda der Nationalsozialisten in die Lebenswelt der Menschen vorgedrungen war.

Die Dokumentation „Und morgen gibt es Hitlerwetter!“ des Autorenduos Hans-Jörg und Gisela Wohlfromm liefert hierzu eine reichhaltige Materialsammlung. Auf rund dreihundert Seiten haben die beiden eine bunte Collage aus Zeitungsausrissen, Statistiken und Aktenstücken zusammengefügt, die das Leben der Volksgenossen von einer anderen Seite zeigt. So erfährt man gleich zu Beginn, dass die Coca-Cola Company ihren Absatz in Deutschland zwischen 1933 und 1939 von 100.000 auf 4,5 Millionen Kästen im Jahr steigern konnte, unter anderem deswegen, weil man bei Treffen der Hitler-Jugend eifrig Gratisproben verteilte. Als während des Zweiten Weltkriegs Rohstoffe fehlten, um Cola herzustellen, entwickelte der deutsche Produzent in Absprache mit dem Regime „Fanta“ als Ersatz.

Was die Wohlfromms dem Leser nicht mitteilen, ist, dass sogar auf den Mauern des Berliner Sportpalasts, in dem die großen Massenkundgebungen abgehalten wurden, die Aufforderung prangte, „Coca-Cola eiskalt“ zu trinken. Offenbar fühlte sich Goebbels dadurch bei der Erschaffung der Volksgemeinschaft nicht gestört. Dies ist durchaus folgerichtig, denn der offizielle Antiamerikanismus des Dritten Reiches war immer ein zwiespältiger, da man auf der einen Seite die „Negerkultur“ bekämpfte, Genres und Formen amerikanischer Populärkultur aber für die eigenen Freizeitangebote wie „Kraft durch Freude“ kopierte. Eindeutig zu weit ging dabei, dass die Jagdgruppe 88 der berüchtigten Legion Condor die 1930 in Deutschland eingeführte Micky Mouse zum Wappentier wählte, bevor sie im Spanischen Bürgerkrieg Guernica bombardierte.

Der halboffiziellen Toleranz gegen vom Regime eigentlich abgelehnte kultureller Symbole stehen allerdings zahlreiche Versuche der Nationalsozialisten gegenüber, die deutsche Gesellschaft zwangsweise zu nazifizieren. So wurde das polnische Lodz 1940 in Litzmannstadt umbenannt und gründlich eingedeutscht. Als es schließlich neben Schildbürger- und Siebengeißleinstraße, Zündkerzen- und Stickstoffstraße einen Holzessigweg und Schlusslichtsteg gab, hatten die Anwohner allerdings die Nase voll und protestierten wütend gegen diese unsinnigen Straßennamen.

Auch das den Nationalsozialismus prägende Verwaltungschaos wird an abstrusen Beispielen deutlich, etwa am Runderlass Heinrich Himmlers vom 22. 12. 1941 an alle Polizeiorgane, dem zufolge in amtlichen Berichten „zur Erzielung einer Einheitlichkeit im Schriftverkehr künftig nur noch die Schreibweise ‚Ski‘, Mehrzahl ‚Skier‘ “ zu verwenden sei. Schon am 3. 1. 1942 konterte der Kanzleichef der NSDAP, Martin Bormann: „Damit wir nicht zu ähnlichen Verhältnissen kommen, wie sie im Englischen herrschen, wünscht der Führer, dass […] Schi mit Sch und nicht mit Sk geschrieben wird.“

Viel braune Tünche an der Oberfläche drang nicht notwendig in die unpolitischen Tiefenstrukturen der Gesellschaft ein. Dies in populärer und vielfach auch amüsanter Weise deutlich zu machen ist das Verdienst der Wohlfromms. Die Art allerdings, wie dieses Buch aus dem Eichborn Verlag seinen Inhalt präsentiert, lässt den Leser etwas ratlos zurück. Sie erinnert an andere Produkte dieses Verlages mit weniger verfänglichem Inhalt wie „Die tausend blödesten Schüler-Sprüche“. Zahlen, Witze und Pressezitate werden ohne erkennbaren inneren Zusammenhang aneinander gereiht, bei manchen Eintragungen weiß man einfach nicht, was einem die Autoren nun mitteilen wollen. So etwa, wenn unter dem Titel „Widerstand“ ohne jeden Kommentar erratisch die Namen von Widerstandsgruppen und einzelnen Widerständlern aufgezählt werden.

Für wissenschaftliche Zwecke ist das Buch ohnehin nicht nutzbar, da die Quellenangaben vielfach sehr pauschal sind, man bei den Statistiken nicht weiß, was die Bezugsgrößen sind, und es weder ein Register noch ein ausführliches Inhaltsverzeichnis gibt. Zum Teil berichten die Autoren auch Altbekanntes, oft ist ihre Sprache eindeutig zu lax, etwa wenn es heißt, Horst Wessel „sei bei einem Überfall erschossen“ worden. Der Alltag des „Dritten Reiches“ taugt nicht nur angesichts von sechs Millionen ermordeten Juden eben nicht zum Coffee Table Book.

Trotzdem haben Hans-Jörg und Gisela Wohlfromm mit ihrem Buch einen anderen Blick auf den Nationalsozialismus eröffnet, der diesen weniger monolithisch und in seiner kriminellen Energie weniger perfektionistisch erscheinen lässt, als die populäre Sicht der TV-Dokumentationen es tut.

THYMIAN BUSSEMER

Hans-Jörg und Gisela Wohlfromm: „ ‚Und morgen gibt es Hitlerwetter!‘ Alltägliches und Kurioses aus dem Dritten Reich“. Eichborn, Frankfurt am Main 2006, 301 Seiten, 19,90 Euro