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Archiv-Artikel

bücher für randgruppen Zwei Bild- und Fotobände: die Welt des Fußballs und die Welt von Transvestiten und Transsexuellen

Die meisten Popvideos orientierten sich an dem, was angesagt ist. Das berichtete mir Andreas Dorau, als er gerade für einen Musikverlag arbeitete. Aus dem Rahmen falle, wie er meinte, derzeit nur ein einziger Clip. Darsteller: eine Fußballmannschaft aus (vor)pubertären Knaben. Einer von ihnen spielt mit einer Puppe, sein Vater ist entsetzt und schleudert sie angeekelt ins Meer. Ein Mitspieler rettet mutig die Puppe des Freundes. Finale: Das Freundespaar schießt ein Sieg bringendes Tor und küsst sich innig. Ein Still dieses Videos von Sigur Rós ist im soeben erschienenen „Public Folder #2“ zu finden. Gegenüber montiert, schaut Pasolini im Fußballdress dem Knabenfußball zu. Ob diese Verbindung nicht etwas platt ist oder gar in die Irre führt? Überwiegend in Bilderstrecken durchstreifen neun Künstler die Welt des Fußballs. Vieles geht vom Zitat und der Dokumentation aus. Da ist es vielleicht die Auswahl, die Gefallen finden könnte: so Peter Pillars Abwesenheit des Balles während des Spiels, die Paarbilder von Michael Kerkmann oder fotografierte Abwehrhaltungen kleiner Torwarte von Holger Kruse. Hübsch anzuschauen sind auch die Sammelbildchen unbekannter Mannschaften von Sabrina Jung. Die sind attraktiv wie das Heft insgesamt.

Doch wirklich aufregende Ideen oder neue, ungewöhnliche Gedanken finden sich kaum. Vielleicht stecken sie ja im Bild von Michael van den Bongaard, dem einzigen Foto auf hundertvierzig Seiten, dass Fußball spielende Frauen und Mädchen zeigt? Sie zerstieben regelrecht um einen Ball, der niemandem zu gehören scheint, der, wie die Spielerinnen, nirgendwoher kommt und nirgendwohin will.

Auf der Suche nach geschlechtlicher Identität sind die Modelle, die der Fotograf Julian Salinas im Fotobuch „Bruna/Bruno“ zeigt. Sagt der Pressetext. Und: Der Fotograf lade zu einer Entdeckungsreise in eine „fremde Welt“ ein. Tatsächlich wirken die Transvestiten und Transsexuellen auf den Fotografien ultrarealistisch und zugleich sehr fremd, mit einem Wort: exotisch. Der Schauspieler Jean-Claude Dreyfus sieht im Vorwort eine „Entschleierung“ und spricht fremdelnd von „Wesen“, die „nichts mehr verheimlichen“. Tatsächlich dringt mithilfe intensiven Lichts die Kamera durch das Make-up auf die darunter liegende Haut mit ihren großen Poren, Pickeln und Narben. So verstärkt sich der Eindruck des Maskenhaften. Hübsch oder sexy macht dieser Realismus die Modelle in ihren zumeist erotischen Posen – viele arbeiten als Prostituierte – zumeist sicher nicht, sie wirken eher etwas verlebt, gelegentlich tragisch, manchmal vulgär.

Der/die 55-jährige Carole alias Patrick im schwarzen Minirock und Bartstoppeln fällt als offensichtlich Ungeschminkte(r) heraus: Travestie sei für ihn/sie lediglich ein Mittel, um sich zu amüsieren, zu provozieren und zu verführen. Dreisprachig – französisch, englisch und deutsch – ist jeweils ein kleiner Text beigegeben, der die Wünsche, Ansichten und Leidenschaften der porträtierten Brasilianerinnen, Französinnen und anderen in Interviewform aufzeigt. Vielleicht sind Salinas’ Modelle einer eigenen Identität ja näher als behauptet. So sagt Samantha: „Ich muss mir kein Bild erfinden, ich weiß, wo ich stehe!“ Ob Transsexuelle, Transvestiten und Transgender eine Einheit und als solche in einem Buch zu kompilieren sind, bleibt dennoch fraglich. Vielleicht entschleiert der Fotograf hier gar eher sich als seine Modelle?

Mit seinen unterschiedlichsten Papiersorten, wechselnder Typografie, dem heftig duftenden braunen Umschlag aus „85 % Lederfasern“ und den goldenen Prägelettern versucht jedenfalls der Verlag, dem Wesen des exotischen Werks einen an- und entsprechenden Zusammenhalt zu verschaffen. WOLFGANG MÜLLER

John Harten: „Public Folder # 2, Fußball“. Köln, 148 Seiten, viele Abb., 17 Euro Julian Salinas: „Bruna/Bruno“. Christoph Merian Verlag, Basel, 168 Seiten, über 100 Farbfotos, 26 Euro