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Archiv-Artikel

NPD will nicht stolpern

Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust enthüllt im mecklenburgischen Lübtheen „Stolpersteine“ zur Erinnerung an jüdische Verwandte, die von den Nazis ermordet wurden. Das Städtchen ist wegen seiner prominenten NPDler bekannt

von Gernot Knödler

Wilhelm Dostahl hat die alte Frau Wolff noch gekannt. Der 81-Jährige aus dem mecklenburgischen Lübtheen erinnert sich an die ungewöhnliche Art, in der Meta Wolff ihre Handtasche hielt: fast auf Brusthöhe. Sie versuchte den Judenstern zu verdecken, den sie tragen musste.

Meta Wolff, ermordet 1943 in Theresienstadt, war die Großtante von Hamburgs Bürgermeister Ole von Beust (CDU). Gestern ist er in die Kleinstadt gekommen, um die „Stolpersteine“ für sie und seine ebenfalls in der Nazi-Zeit umgekommenen Großonkel zu enthüllen – kleine Betonsteine mit einer Messingplatte, in die eine Erinnerung eingepunzt ist: „Hier wohnte Willy Wolff, Jahrgang 1861, ermordet in Minsk“. Vier Steine sind für von Beusts Familie zu verlegen. Sein Besuch hatte eine bittere Note, weil Lübtheen und Umgebung bundesweit für ihre Neonazi-Szene bekannt sind.

Vor dem ehemaligen Kaufhaus der Familie Wolff, heute eine Schlecker-Filiale, hat sich eine großer Kreis von Menschen gebildet. Die Puschelmikrofone dreier Fernsehsender ragen in die Menge hinein, in deren Zentrum der Künstler Gunter Demnig kniet und die vier kleinen Gedenksteine ins Pflaster mörtelt. Seit 1993 hat er mehr als 8.000 solcher Steine gesetzt. Lübtheen ist der 163. Ort, in dem er sie verlegt.

Neben ihm hockt Ole von Beust und lobt Demnigs „unaufdringliche Aktion gegen das Vergessen“. Auch der mecklenburgische Ministerpräsident Harald Ringstorff (SPD) und der SPD-Landesvorsitzende Till Backhaus sind gekommen. Udo Pastörs, der Spitzenkandidat der NPD bei der Landtagswahl im September, hat 100 Meter die Straße runter ein Schmuckgeschäft. Er hat es vorgezogen, in seinem Laden zu bleiben.

Ole von Beust erzählt von den „vielen persönliche Erinnerungen“, die ihn mit Lübtheen verbinden. In den 60er Jahren, als seine Großmutter Ella noch das Kaufhaus betrieb, sei er oft hier gewesen. In dem Haus sei seine Mutter Hanna geboren und aufgewachsen, die ihm viel von Tante Meta erzählt habe. „Das hier ist keine Trauerfeier“, sagt er, „weil Menschen gedacht wird, die gerne und fröhlich gelebt haben.“

Doch von Beust redet auch Tacheles: Er lese mit Erstaunen, dass der Rechtsextremismus große Sympathien in Mecklenburg-Vorpommern genieße. NPD zu wählen komme nicht in Frage. „Es wäre unanständig, die zu belohnen, die das vergessen lassen wollen“, sagt er. Der alte Lübtheener Dostahl hat noch vor Augen, wie die SA mit zwei Mann Wache stand, um die Leute davon abzuhalten, bei den Wolffs einzukaufen.

Der NPD-Spitzenkandidat Pastörs erkennt zwar an, dass es Unrecht war, was der Familie Wolff angetan wurde. Trotzdem gab es für ihn „keine Veranlassung“, am Verlegen der Stolpersteine teilzunehmen. „Ich würde das ohne weiteres tun, wenn auch die Opfer auf der deutschen Seite ihre Berücksichtigung fänden“, versichert er.

Pastörs, ein Mann um die 50 mit kurzem gescheiteltem Haar, formuliert betont sorgfältig, doch mit Leidenschaft. Solche Gedenk-Aktionen seien inflationär geworden. „Das Holocaust-Mahnmal war die Ouvertüre für die nicht enden wollenden Bußrituale für das deutsche Volk“, sagt er. Jeder Deutsche sei aufgerufen, „endlich nach 60 Jahren einen Schlussstrich zu verlangen“. Das Gedenken werde zur Selbstdarstellung von Politikern missbraucht. Für Ole von Beust gelte das selbstverständlich nicht. „Jeder, der persönliches Leid erfahren hat, sei es zu Zeiten des Stalinismus, des Dritten Reiches oder der BRD, verdient Respekt“, sagt Pastörs.

Am Sonntag will er auf dem Kirchplatz den NPD-Landtagswahlkampf eröffnen. „Ich werde selbstverständlich auf die Steine, die uns zum Stolpern bringen sollen, hinweisen“, kündigt er an. Er werde „die jungen Leute, die zahlreich da sein werden, darauf hinweisen, was mit ihnen geschieht“.

Am selben Vormittag will die evangelische Kirchengemeinde einen Gottesdienst zum Thema Drittes Reich und Rechtsextremismus abhalten. „Wir wollten das nicht neutral übergehen“, sagt Pastor Knut Willemer. Es gehe dabei nicht gegen die NPD, sondern darum, „hervorzuheben, was wir positiv dagegen zu setzen haben – den christlichen Glauben, der sich nicht mit dem Gedankengut der NPD vereinbaren lässt“. Der Pastor und Pastörs haben vereinbart, dass die NPD ihre Kundgebung wenigstens mit ein wenig zeitlichem und räumlichem Abstand zum Gottesdienst abhält.

Der NPD-Spitzenkandidat legt Wert auf zivile Umgangsformen, wie die rechte Szene überhaupt, die sich in der Gegend niedergelassen hat. Sie engagieren sich in Vereinen, bieten auch mal an, die Grundschule zu streichen. „Wenn sich einer engagiert für eine vernünftige Sache, ist das o.k.“, sagt ein älterer Passant, der sich das Steine-Verlegen von weitem anschaut. Die Aktion findet er richtig, er hat aber auch kein Problem mit NPD-Sympathisanten. „Wenn wir eine Meinungsfreiheit haben, soll man seine Meinung auch äußern können“, sagt er.